Mittwoch, 1. Februar 2012

Mila Lippke "Morgen bist du noch da"


"Die Erinnerung ist das Licht, das unsere Vergangenheit erhellt. Ich stellte sie mir als weißes Licht vor. Weiß wie ein noch unbeschriebenes Blatt, Weiß wie glasiertes Porzellan, dessen Glanz wirkt, als schimmerten tausend Farben drin." (S. 253)

Was entscheidet eigentlich, wer wir sind? Unsere Eltern? Unsere Geschichte? Oder die Art, wie wir unser Leben leben? Lioba fängt an, sich mit der Frage nach sich und der eigenen Familie auseinanderzusetzen, als sie selbst ungewollt schwanger wird. Gerade als sie die Suche nach ihrem Vater beginnen will, hat ihre Mutter einen Schlaganfall und kann sich ihr nicht mehr mitteilen. Das Verhältnis von Lio und ihrer Mutter war nicht sorgenfrei oder problemlos, sondern immer belastet von einem Unverständnis, das Mutter und Tochter voneinander trennte, ohne dass Lio so richtig wusste, warum. 
Die Suche nach ihrer eigenen Geschichte macht Lio deutlich, wie wenig sie von ihrer Mutter wusste und zeigt ihr die starken Grenzen, die ihre Mutter ihr gegenüber immer gezogen hat. Erst ganz langsam, wie ein Stickerei die man wieder löst, kann Lioba ihre Familiengeschichte entschlüsseln und sich so auch ihrer eigenen Zukunft wieder stellen. Will sie überhaupt ein Kind, ohne für dieses Kind einen Vater zu haben? Denn ihr Geliebter Dominic scheint sich nicht als Vater zu sehen.

Mila Lippke schafft es auf eine unglaubliche sensible, unaufgeregte Art, Liobas Suche nach ihren Wurzeln zu beschreiben. Ohne übertriebene Dramatik lässt sie allein Lios Sicht auf den Leser wirken und bringt ihn so ganz nah an die Figur heran, die sie geschaffen hat. So verwirrend Lios Emotionen für sie selber sind, so klar macht die Autorin sie für den Leser, der das Gefühl bekommt, die Protagonistin auf einer ganz besonderen Reise ihres Lebens zu begleiten.
Gleichzeitig bietet der Roman die Möglichkeit, auch bei sich selbst anzuknüpfen. Was wissen wir denn eigentlich über unsere Familie, über unsere Mutter, die Frau, die uns ein Leben lang begleitet, ob körperlich oder auch nur in Gedanken? Können wir sie als Mensch begreifen oder nur in ihrer Funktion, die sie uns vermittelt?
Lios Geschichtet verbindet viele Gedanken, die den Leser noch lange begleiten können. „Morgen bist du noch da“ ist kein Buch, bei dem man die letzte Seite umblättert und am Ende ist. Die Geschichte geht auf irgendeine Art im Kopf weiter und ich bin gespannt, was ich noch entdecke, wenn ich das Buch irgendwann wieder aus dem Regal nehme, um es neu zu entdecken. 

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