Samstag, 30. Januar 2016

Ben Bauhaus "Killerverse"

Johannes „Johnny“ Thiebeck ist ehemaliger Polizist und hält sich nach einigen Verfehlungen und seinem Rausschmiss bei der Polizei mit Gelegenheitsjobs in der Sicherheitsbranche über Wasser, als eine junge Polizistin und Kollegin seiner ehemaligen Partnerin sich an ihn wendet. Sie bittet um Hilfe in einem Fall, in den ihre Schwester Marlene verwickelt zu sein scheint. Ein Freund von ihr wurde brutal umgebracht, seit dem scheint sie völlig verändert. Henni will wissen, was ihre Schwester mit dem Vorfall zu tun hat und beginnt gemeinsam mit Thiebeck auf eigene Faust zu ermitteln. 
Thiebeck ist keine Person, die einem als Leser sofort ans Herz wächst, er ist unkonventionell und wirkt auf den ersten Blick vielleicht auch etwas brutal, doch sein Herz hat er am rechten Fleck und er schlägt sich in seinem Leben gut durch. Bei den Ermittlungen um den Mord an einem Reisebürobesitzer zeigt sich schnell, dass er gar nicht der Einzelgänger und Egoist ist, als der er uns zunächst präsentiert wird. Er arbeitet gut mit Henni zusammen, hat kein Problem andere Personen zur Hilfe ins Team zu holen und als er wichtige Informationen zu dem Fall erhält, beginnt er mit der Polizei und seiner ehemaligen Partnerin dort zusammenzuarbeiten (obwohl er seinen Nachfolger im Team auf den Tod nicht ausstehen kann). 
Die Geschichte entwickelt sich sehr spannend, schnell zeigt sich, dass dieser Mord nicht der erste ist, der auf diese Weise verübt wurde. Ein Kinderreim lässt zudem vermuten, dass noch einige Leichen folgen sollen. Thiebeck tut alles, um die Verbindung zwischen den Opfern und Hennis Schwester Marlene zu finden. Dabei ist nicht nur Thiebeck großartig beschrieben, auch die anderen Charaktere sind sehr plastisch dargestellt, besonders Henni wächst einem schnell ans Herz. Das ganze Team scheint so großartig zu funktionieren, dass ich mir die ganze Zeit gewünscht habe, für den nächsten Band würde Thiebeck einfach wieder bei der Polizei anfangen und offiziell mit ihnen ermitteln. Dann würde er sich auch schon mit Janas neuem Partner zusammenraufen. 
Das Buch hat beim Lesen einfach Spaß gemacht, die Story ist spannend und logisch aufgebaut und man kann das Buch nur schwer zur Seite legen. Wer Krimis liebt, sollte das Buch auf jeden Fall lesen. 

Wer möchte kann die Reihe auch mit Band eins beginnen, bereits 2015 erschienen ist „Bulletschach“, im Juli diesen Jahres folgt mit „Puppenruhe“ Band drei. 

Mittwoch, 27. Januar 2016

Lucinda Riley "Die sieben Schwestern" (Hörbuch)




Maia ist mit ihrem Vater und ihren fünf Schwestern in einer Villa am Genfer See in relativer Abgeschiedenheit groß geworden. Sie arbeitet als Übersetzerin und lebt als letzte der Schwestern noch mit ihrem Vater in der Schweiz. Zwar wussten alle Schwestern immer, dass sie adoptiert wurden, doch als ihr Vater stirbt, hinterlässt er allen Schwestern die Koordinaten ihres Geburtsorts. Maia beginnt, sich auf die Suche nach Ihrer Familie zu machen und entdeckt dabei nicht nur schöne Dinge über ihre Vergangenheit.
„Die sieben Schwestern“ sind eigentlich nur sechs Schwestern, doch benannt nach den Plejaden, die aus sieben Sternen bestehen, hätten sie eigentlich auch sieben Schwestern sein müssen. Niemand weiß, warum nur sechs Mädchen aus den unterschiedlichsten Ländern adoptiert wurden. Die Mädchen sind sehr glücklich aufgewachsen, und so unterschiedlich sie auch sind, scheinen sie eine Mutter oder ihre biologische Familie nie vermisst zu haben. Lucinda Riley schafft es wieder, eine spannende und geheimnisvolle Geschichte zu erzählen, die einen von Anfang an in ihren Bann schlägt. Maia ist eine sehr zurückhaltende, schüchterne Person, doch durch die Suche nach ihrer Familie öffnet sie sich und blüht auf. In Rückblenden wird die Geschichte von Maias Ugroßmutter Isabella erzählt, die mit den moralischen und traditionellen Vorstellungen ihrer Zeit zu kämpfen hatte.
Die Erzähler Oliver Siebeck , Simone Kabst und Sinja Dieks bringen die Geschichte von Maia großartig zur Geltung, unterstrichen werden die historischen Abschnitte noch durch einen Sprecherwechsel, der hervorragend dazu passt. Beim Zuhören entsteht im Kopf ganz schnell ein Bild von Maia, von Isabella, ihren Reisen und ihrem Leben. Obwohl das Hörbuch wirklich sehr lang ist, macht es Spaß, der Geschichte zu folgen und an keiner Stelle kommt es einem zu lang vor oder es gar langweilig. Die Umsetzung als Hörbuch des Romans von Lucinda Riley ist großartig gelungen und kann jedem Hörbuch-Fan nur empfohlen werden.

Inzwischen ist auch die Fortsetzung „Die Sturmschwester“ erschienen, die sich zum Ende des Hörbuchs bereits andeutet. 

Dienstag, 26. Januar 2016

Camilla Läckberg "Die Engelmacherin"

Als in einem alten Internat auf der Insel Valö ein Feuer gelegt wird und die neuen Bewohner Ebba und Marten beinahe darin umkommen, wird gleichzeitig ein uralter Fall aufgerollt: Vor dreißig Jahren verschwand Ebbas gesamte Familie am Ostersamstag plötzlich von der Insel und wurde nie gefunden, nur das einjährige Mädchen wurde zurückgelassen. Der Polizist Gösta, der schon damals in dem Fall ermittelt hat, will die Ermittlungen wieder aufnehmen und unter der Leitung von Patrik Hedström stoßen sie auf neue Erkenntnisse, die den Fall jedoch nicht unbedingt klarer erscheinen lassen. Was passierte vor dreißig Jahren wirklich auf der Insel? Und was hat die Geschichte um die Engelmacherin von Fjällbacka von Beginn des 20. Jahrhunderts damit zu tun?
„Die Engelmacherin“ ist großartig geschrieben, spannend bis ins kleinste Detail und wieder mit großartigen sympathischen Charakteren besetzt. Patriks Frau Erica, die als Schriftstellerin arbeitet, ermittelt auf eigene Faust in diesem Fall, der sie schon seit Jahren interessiert und bringt sich und auch ihre Schwester Anna damit in große Gefahr. Spannend ist auch die Geschichte um eine Gruppe Männer, die früher als Jungen auf dem Internat waren, während Ebbas Familie verschwand. Obwohl sie völlig unterschiedliche – und spannende – Charaktere sind, scheint sie etwas zu verbinden. John Holm ist inzwischen Vorsitzender der rechtsradikalen Partei „Schwedens Freunde“ und mit ihnen gerade ins Parlament eingezogen, auch die anderen haben auffallende Biografien und scheinen sich mit dem „normalen Leben“ nicht abgeben zu wollen. Die Frage, ob sie etwas mit dem Verschwinden der Familie zu tun haben oder nur zufällig vor Ort waren, erhöht die Spannung noch, ihre kleinen Hintergrundgeschichten schaffen ein stimmiges Bild für die Geschichte und helfen dem Leser, der Story zu folgen und die Charaktere zu verstehen.
Camilla Läckberg ist mit „Die Engelmacherin“ wieder ein mitreißender Krimi gelungen, der einen von der ersten bis zur letzten Seite mit Hochspannung fesselt. Besonders die Hintergrundgeschichten der Ermittler machen die Bücher von Camilla Läckberg so lesenswert, schnell empfindet man alle als Freunde und freut sich, sie in jedem Buch wiederzusehen. Wer die Reihe einmal begonnen hat, wird nicht wieder damit aufhören können.



Montag, 25. Januar 2016

Alice Greenway "Schmale Pfade"

"Denke niemals das der Krieg egal wie erforderlich oder wie begründet er ist, kein Verbrechen ist." (Ernest Hemingway)

Schmale Pfade
Jim lebt in den 70er Jahren in seinem alten Haus auf einer Insel in Maine, wo er sich nach dem Tod seiner Frau Helen völlig verkrochen hat. Seit der Amputation eines Unterschenkels musste er auch seine Arbeit als Ornithologe im Museum aufgeben und lebt nur noch für den ersten Gin des Tages. Völlig durcheinander kommt sein Leben jedoch, als mit Cadillac die Tochter eines alten und schon fast vergessenen Freundes aus Kriegszeiten von den Salomonen vorübergehend bei ihm einzieht, um sich auf das Medizinstudium in Yale vorzubereiten. Durch sie wird er ungewollt mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die ihn plötzlich wieder einholt.

„Schmale Pfade“ von Alice Greenway ist ein sehr leises und behutsames Buch. In Rückblenden auf verschiedene Zeitebenen erfahren wir von Jims Geschichte, seiner Kindheit mit dem autoritären Großvater, seiner Leidenschaft für die Natur und die Ornithologie, seiner Liebe zu Helen und besonders seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg, als er auf den Salomonen gegen die Japaner kämpfte. Durch die Geschichte erklären sich immer mehr Jims Verhalten, seine Verschlossenheit, seine Wut auf die ganze Welt und vor allem auf sich selber und seine Hilflosigkeit. Besonders seinem Sohn Fergus gegenüber ist er abweisend, als wollte er sich dadurch selbst bestrafen und keine Nähe zu anderen Menschen zulassen. Bei Cadillac beginnt er etwas aufzutauen, doch wirklich an sich heran lässt er sie auch nicht, obwohl diese lebenshungrige junge Frau ihm vielleicht wieder ein wenig Hoffnung geben könnte.
Alice Greenway beschreibt die Geschichte Jims mit einer wunderbar leichten und dennoch distanzierten Sprache. Die eingestreuten Beschreibungen der verschiedenen Vögel verdeutlichen, wie wichtig Jim diese Arbeit immer war, machte sie ihn doch auch zu dem, der er heute ist. Der Rückzug in die Natur und seine Arbeit erleichterten ihm das Leben, so konnte er all das ausblenden was ihn belastet. Als die Arbeit wegfällt, bleibt ihm nur noch der Alkohol, der ihn langsam aber sicher zerstört. 

Ich habe diesen Roman als einen großartigen Bericht über besonderen Menschen gelesen, der an den Erlebnissen und Entscheidungen seines Lebens langsam zerbrochen ist, der die Fremdbestimmung nicht mehr ertragen kann und auf der Suche nach einem Ausweg ist. Das Zusammentreffen mit Cadillac zwingt ihn auf eine Art, sich der Vergangenheit zu stellen, ermöglicht aber auch gleichzeitig einen Abschluss für ihn. Diese wunderbare und doch auch traurige Geschichte sollte man unbedingt lesen.


Sonntag, 17. Januar 2016

Michael Wildenhain "Das Lächeln der Alligatoren"

Als kleines Kind schubste Matthias seinen Bruder Carsten beim Spielen vom Sofa, der junge bleibt den Rest seines Lebens geistig behindert und lebt in einem Pflegeheim auf Sylt. Mit 14 besucht Matthias ihn dort im Sommer mit seiner Mutter und verliebt sich sofort in die drei Jahre ältere Betreuerin Martha. Doch ihre Wege verlieren sich, die Liebe bleibt unerwidert. Doch als Matthias nach Berlin zu seinem Onkel zieht um zu studieren, kreuzen sich ihre Wege wieder und Martha scheint sogar seine Nähe zu suchen. Sie zieht ihn in eine Welt, die Matthias nicht geheuer ist. Wie Recht er mit seinen Gefühlen haben soll, zeigt sich im weiteren Verlauf des Romans. 
„Das Lächeln der Alligatoren“ ist eine virtuose Geschichte von der Liebe und ihren Abgründen, von der Suche nach Vertrauen und Zuneigung und der gleichzeitig vollständigen Zerstörung von Halt und Orientierung. Matthias‘ Liebe zu Martha bringt ihm gleichzeitig Glück und Unglück, sie ist Freundin und Feindin, Gefährtin und Kriegerin zugleich, was es so schwer macht, sie einzuordnen. Die Beziehung der beiden ist für den Leser faszinierend und mit der Zeit lässt die Distanz, die man am Anfang zu den Charakteren empfand, immer mehr nach und wie Matthias Martha in sein Leben lässt, lässt er auch uns als Leser immer mehr an seinen Gefühlen teilhaben. So wächst das Mitgefühl mit ihm im Verlauf der Geschichte immer weiter an, während sich zeitgleich eine subtile Abneigung gegen Martha entwickelt, die man sich gar nicht gleich erklären kann. Es ist wie ein Gefühl, dass sie Matthias nichts Gutes bringen wird. Wie recht man mit der Annahme noch haben wird, zeigt sich auf dramatischere Weise, als man es selber gerne gewollt hätte. 
Gleichzeitig ist dieser Roman jedoch auch ein politischer Roman, denn sämtliche Störungen entstehen durch Martha und Martha kann nicht losgelöst von ihrer politischen Situation und ihren Überzeugungen verstanden werden, auch wenn sich dies erst spät erklärt. Die gesamte Geschichte erhält durch die Auflösung der Hintergründe von Martha eine neue Bedeutung und Erklärung, die auch Matthias bisherige Lebensgrundlage zerstört. Mit dem Verlust eines geliebten Menschen geht für ihn auch der Verlust seiner bisherigen Lebensgeschichte, das woran er als er geglaubt und was er für sicher hielt, einher. 

Michael Wildenhain hat mit „Das Lächeln der Alligatoren“ einen Roman geschrieben, der sich auf die Suche nach dem Einfluss des Politischen auf die Liebe begibt und der Frage nachforscht, wie nah man einem Menschen kommen kann, wenn man gleichzeitig seine Zerstörung ist. Der Roman hat mich von Anfang bis Ende fasziniert und mit seiner besonderen und teilweise sehr reduzierten Sprache wird die Unsicherheit von Matthias und seine manchmal hilflos wirkende Suche nach Etwas, was er sich selbst kaum erklären kann, noch unterstützt. Hier liest man nicht nur ein Buch, man blickt in eine Welt und ob sie einem nun gefällt oder nicht, man muss sich mit ihr konfrontieren. Einfach beiseite schieben lässt sie sich nicht. 

Sonntag, 10. Januar 2016

Camilla Läckberg "Die Schneelöwin"

Immer wieder verschwinden in Nähe von Fjällbacka Mädchen, sie kommen alle aus behüteten Familien und scheinen sonst keinerlei Verbindung zu haben. Dann taucht plötzlich eines der Mädchen schwer verletzt wieder auf - und wird von einem Auto erfasst und getötet. Findet sich jetzt endlich eine Spur, wo die anderen verschwunden Mädchen sein könnten?
Dies war der erste Krimi von Camilla Läckberg, den ich gelesen habe und ich war von der ersten Seite an begeistert. Mit Erica Falck und Patrik Hedström hat die Autorin ein spannendes und unkonventionelles Ermittlerpaar geschaffen. Er ist Polizist und ermittelt offiziell in den Fällen, sie ist Autorin von Kriminalbüchern und bringt ihn nicht nur hin und wieder auf die richtige Spur, sondern schaltet sich auch gerne einmal heimlich in die Ermittlungen ein. Das gefällt ihrem Ehemann natürlich nicht immer, und auch ihr Privatleben sorgt mit drei Kindern, putzwütiger Schwiegermutter und zutiefst verstörter Schwester für einiges an Spannung und Unterhaltung. 
Die Kriminalhandlung an sich ist sehr komplex und unglaublich gut strukturiert aufgebaut. Bis zum Schluss schwankt man, was jetzt wirklich hinter den Fällen stecken könnte und nicht immer lässt einen Erica daran teilhaben, wenn sie eine Idee hat. Gespannt und unwissend läuft man ihr als Leser regelrecht hinterher und kann das Buch nicht mehr weglegen, wenn sie einem das Netz der Verstrickungen langsam offen legt, was einem gerade noch völlig abwegig und zusammenhangslos erschien wird plötzlich völlig klar. Das die zwei lange völlig unabhängig voneinander scheinenden Geschichten am Ende doch noch ein schlüssiges und vollkommen logisches Muster ergeben, ist der Autorin hoch anzurechnen. Hier werden keine Abstriche bei Glaubwürdigkeit gemacht, um bestimmte Ideen krampfhaft in die Geschichte zu bringen. Von der ersten bis zur letzten Seite ist die Story nachvollziehbar und reißt den Leser mit.

„Die Schneelöwin“ ist ein ausgezeichneter Krimi und ich freue mich jetzt schon sehr darauf, die vorherigen Romane des Ermittler-Ehepaares zu entdecken. 

Freitag, 8. Januar 2016

Andrei Mihailescu "Guter Mann im Mittelfeld"

In Andrei Mihailescus Roman „Guter Mann im Mittelfeld“ begegnen sich zwei Charaktere aus verschiedenen Welten, obwohl beide im kommunistischen Rumänien der 80er Jahre leben: Stefan ist Journalist bei einer staatstreuen Zeitung, er hat sich mit seinem Leben eingerichtet, versucht aber immer wieder kleine Spitzen gegen den Staat in seinen Artikeln unterzubringen. Er gehört zu den kleinen Leuten, lebt mit seiner Mutter in einer Wohnung, kennt Nahrungsmittelknappheit, Probleme mit Strom und Heizung zur Genüge. Raluca hingegen ist mit einem Parteifunktionär verheiratet, arbeitet als Architektin an planwirtschaftlichen Bauprojekten mit und kennt die Nachteile des kommunistischen Systems kaum. Dennoch treffen sich die beiden und verbinden Ihre Leben auf eine beeindruckende Weise, denn beide gehen dafür hohe Risiken ein, sie stoßen Menschen und dem Staat vor den Kopf mit ihrer Art, ihr Leben zu leben.

Der inzwischen in der Schweiz lebende gebürtige Rumäne Mihailescu hat mit diesem Roman ein großartiges Debut vorgelegt, dass einen sowohl durch die Charaktere als auch die gesamte Stimmung des Romans gefangen nimmt. Durch Stefan beschreibt er die Angst und die Enge des Systems so real, dass der Leser sich selbst in diesem grau mit ihm gefangen sieht. Besonders befangen gemacht hat mich der große Einfluss des Staates bis in das Privatleben, Verfehlungen treffen nicht einen selbst in geballter Form und durch Gewalt, sondern haben immer auch Folgen für Freunde und Verwandte. Jede noch so kleine Äußerung im privaten Kreis kann Verfolgung auf höchster Ebene nach sich ziehen, die Menschen sind regelrecht gefangen in dieser Situation, in der keine Freiheit mehr zu existieren scheint. Jeder versucht nur nicht anzuecken und nicht aufzufallen. Dass Stefan dennoch immer wieder versucht, im Kleinen gegen dieses System vorzustoßen, lässt ihn schon fast naiv wirken, der kleine David gegen den Goliath-artigen mächtigen Parteiapparat.

Raluca hingegen ist sehr privilegiert und dennoch auf ganz andere Art gefangen. Durch ihre Ehe mit einem Parteifunktionär ist sie keineswegs freier, im Gegenteil werden nur anderen Anforderungen an sie gestellt. Sie muss das Parteibild einer Ehefrau und Mutter erfüllen und bewegt sich zugleich in einer ganz anderen Gefahrenzone. Je höher die Parteikader sind, mit denen man sich umgibt, umso wichtiger wird es, keinen zu verärgern, um nicht in Gefahr zu geraten. Sehr beeindruckend fand ich die beschriebene Szene, in der sie auf den Neffen des Generalsekretärs trifft und alle anwesenden schon fast in eine verängstigte Schockstarre verfallen, weil sie sich der gegenwärtigen Gefahr allein durch die Anwesenheit dieser Person bewusst werden.

Andrei Mihailescus Roman beschreibt auf bedrückende Weise die Ängste und Zwänge, mit denen die Menschen leben und wie wenig Freiheit es im Privaten geben kann, wenn der Staat allgegenwärtig ist und willkürliche Macht ausübt. Eine heute nur recht komplizierte Liebesgeschichte kann so eine Staatsaffäre sein, die das Leben vieler Menschen beeinflusst und sie körperlich und psychisch zerrüttet.


Samstag, 2. Januar 2016

Marita Spang "Hexenliebe"

Der erste Roman von Marita Spang spielt in Deutschland um das Jahr 1613, die Zeit der Hexenverbrennungen. Claudia von Leuchtenberg ist die Nichte des herrschenden Landgrafen von Neuerburg und muss hilflos dabei zusehen, wie auch ihr Onkel beginnt, überall Verschwörung und Hexenwerk zu sehen. Dies betrifft Stürme genauso wie Krankheiten und Missernten, jeder Schicksalsschlag ließ sich damals leicht mit dem Wirken von Zauberern und Hexen erklären. Zahlreiche Unschuldige werden nur aufgrund von Verleumdung gefoltert und verbrannt. Als Claudias beste Freundin, die bürgerliche Barbara Dietz, ebenfalls dieser Verleumdung zum Opfer fällt, ersinnt sie mit dessen Verlobten eine List, um sie zu befreien. Doch das ganze System können sie damit schwerlich ins Wanken bringen. 
Der Autorin gelingt in diesem Roman eine umfassende Beschreibung der damaligen gesellschaftlichen Situation, sowohl das Verhältnis von Adel und Bürgertum betreffend, als auch die herausragende Stellung der Kirche.  Angesichts der Hexenverfolgung ist auch der Klerus gespalten, während einige Pfarrer die Möglichkeit sehen, ihre Macht und ihren Einfluss zu vergrößern, sahen einige in der Hexenverfolgung die wahren Lehren des Christentums verletzt. Diese Gegensätze kommen in den unterschiedlichen Charakteren des Romans sehr gut zu Geltung und stehen sich an vielen Stellen unversöhnlich gegenüber. Die völlige Willkür der Hexenjagden und die mangelnde logische Grundlage für die Verfolgung treffen einen auch als Leser, schon die Anschuldigung von missgünstigen Nachbarn reichte, um eine Frau in den Ruin zu stürzen. Gerade die hilfsbereiten Kräuterfrauen waren damals in großer Gefahr. 
Die Charaktere des Romans symbolisieren die verschiedenen Gesellschaftsschichten und Positionen in diesem Machtkampf um die Deutungshoheit der kirchlichen und weltlichen Werte. Obwohl sie alle gut beschrieben sind, sind sie mir teilweise doch ein wenig zu flach und einseitig. Es fehlt ein innerer Konflikt, ein Kampf mit sich selbst, sie scheinen alle ein klein wenig zu gut oder zu böse. Dies ist aber wirklich nur ein winziger Kritikpunkt an einem ansonsten wunderbaren historischen Roman, der einem einen guten Einblick in die dunkelste Zeit des deutschen Mittelalters gibt.