Montag, 26. Februar 2018

Verena Boos "Kirchberg"


Johannas Leben war bewegt, und doch irgendwie durchschnittlich. Als Baby von ihrer überforderten Mutter an die Großeltern abgegeben, wägst sie in einem beschaulichen Dorf in Schwaben auf, der Großvater Dorfschullehrer, die Großmutter immer da, wenn sie gebraucht wird. Jetzt kehrt Johanna zurück in die Heimat, die Großeltern leben nicht mehr, doch das Haus gehört ihr. Nach einem Schlaganfall kann sie kaum sprechen, sich schwer bewegen und dennoch zieht es sie in die Einsamkeit des leerstehenden Hauses, ohne Hilfe. Es wird eine Reise in die Vergangenheit, auch für die Dorfbewohner, denn Johannas Anwesenheit ist auch für sie nicht immer leicht zu akzeptieren.
Verena Boos überzeugt in ihrem Roman „Kirchberg“ gerade durch die Beschreibung der Normalität, die einen als Leser sofort fasziniert. Es ist nichts Spektakuläres am Leben der Protagonistin, und doch fesselt einen Johannas Geschichte sofort. Die Sprachlosigkeit mit der sie kämpft ist gerade für sie, die doch als Wissenschaftlerin an der Uni arbeitet und immer gelesen und geschrieben hat, furchtbar zu akzeptieren. Sie sucht die Einsamkeit, doch stattdessen findet sie alte Freunde und eine Dorfgemeinschaft, die sie nicht ausstößt, obwohl sie immer ein Dorn im Auge aller war. Das Kind ohne Vater, aufgezogen von den Großeltern, wo gibt es denn sowas? Sicher eine schwierige Ausgangssituation für eine junge Frau in einem konservativen Dorf, wo man dies und jenes nicht tut, aber immer genau weiß, was der Nachbar gerade macht. Die Beschreibungen und Rückblenden, mit denen Verena Boos dem Leser das Leben ihrer Hauptfigur langsam entblättert, gehen sehr Nahe und lassen einen nicht los. Der Autorin ist es großartig gelungen, einen mit der Geschichte zu berühren, ohne um Mitleid für Johanna zu heischen oder um Mitgefühl zu betteln. Sie ist eine starke Person und wird ernst genommen, sowohl vor als auch nach dem alles verändernden Schlaganfall.
Mit „Kirchberg“ hat Verena Boos einen bewegenden Roman vorgelegt, der gar keine Extravaganzen oder spektakuläre Überraschungen braucht, um den Leser tief zu bewegen. Es ist die Hauptfigur selbst, die uns beim Lesen immer dichter rückt und bis ins Innerste berührt mit ihrem Kampf, ihrer Suche und ihrer Verzweiflung. Ein starkes Buch über eine starke Frau.

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