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Sonntag, 25. September 2011

Hallgrímur Helgason "Eine Frau bei 1000°"


       
„Ich lebe allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Wir haben es wahnsinnig gemütlich.“
Wem dieser Anfang schon skuril erscheint, der wird im Laufe der Lektüre feststellen, dass der Autor dies noch um einiges weiter treiben kann. Herbjörg ist 80 Jahre alt, sie ist die Enkelin eines ehemaligen isländischen Präsidenten und hat eine bewegte Lebensgeschichte, auf die sie in diesem Roman zurückblickt. In Island, Dänemark, Deutschland und Argentinien hat sie Zeit verbracht, die furchtbaren Seiten des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leib miterleben müssen, vier Kinder geboren, von denen nur drei überlebt haben. Besuch bekommt sie jetzt mit 80 in ihrer Garage aber kaum noch, nachdem die Kinder ihr Haus verkauft haben und versuchten, sie in ein Pflegeheim abzuschieben, aus dem sie abgehauen ist. Und so liegt sie jetzt da, mit ihrem Laptop und der Handgranate, die ihr Vater ihr vor Jahren gab, um sich im Notfall verteidigen zu können, und lässt ihr Leben für uns Leser Revue passieren. 
All dies beschreibt Hallgrímur Helgason mit einer bildhaften und gleichzeitig harten Sprache, die einen beim Lesen immer wieder schlucken lässt, wenn die krebskranke Frau den Angriff der Krankheit auf ihre Organe mit dem Vorrücken der deutschen Wehrmacht vergleicht und von Vergewaltigungen während ihrer Flucht im Krieg berichtet. Herbjörg ist ganz sicher keine nette ältere Dame von nebenan, im Gegenteil, sie ist ziemlich durchtrieben, wenn sie zum Beispiel das Mailpostfach ihrer Schwiegertochter hacken lässt, um rauszufinden, ob die ihren Sohn betrügt. Dennoch fühlt man mit ihr auf ihrer Reise durchs Leben, die skurile alte Dame wächst einem während der Lektüre ans Herz und um so stärker wirken ihre Erlebnisse. Der Stil des Autors ist einzigartig und die sprachlichen Elemente, der Reichtum an Bildern und Metaphern beeindruckend. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird sondern wild durch das 20. Jahrhundert springt, kann man ihr problemlos folgen. 
Die Geschichte von Herbjörg ist sicher kein Buch, dass man beendet hat, wenn die letzte Seite gelesen ist, sondern eines, das einen begleiten kann und in dem bei erneutem Lesen immer neue Dinge ins Auge springen, so facettenreich ist das Leben dieser isländischen alten Dame.

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