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Freitag, 30. September 2016

Daria Bignardi "So glücklich wir waren"

Als ihre Tochter Antonia schwanger ist, berichtet Alma ihr von ihrem Bruder Maio, der bereits vor 30 Jahren verschwunden ist, als sie beide noch Teenager waren. Alma gibt sich die Schuld daran, da sie Maio einst Vorschlug, Drogen auszuprobieren. Maio schaffte den Absprung nicht wieder und wurde heroinabhängig. Antonia macht sich also auf den Weg nach Ferrara, in die Heimatstadt ihrer Mutter, um mehr über Maio und sein Verschwinden herauszufinden.
Daria Bignardi beschreibt Antonias Suche nach Maio in einer sehr flüssigen und einfachen Sprache, das Lesen fließt regelrecht dahin, was sehr viel Freude macht. Antonia ist eine sehr starke junge Frau, die schnell Kontakt zu den Menschen in Ferrara findet und so ihre Ermittlungen beginnt. Dass sie eigentlich Krimiautorin ist, passt da natürlich gut. Ihr Mann Leo ist Polizist und unterstützt ihren Ausflug nach Ferrara. Besonders die Beschreibung der Beziehung von Leo und Antonia hat mir sehr gut gefallen, sie haben eine sehr ruhige und positive Beziehung, die beide stützt und niemanden einengt. Dies steht im totalen Gegensatz zu Alma und ihrem Mann, die nur noch nebeneinander zu leben scheinen, was nicht heißt, dass sie keine Gefühle füreinander haben. Aber ihnen scheint der Zugang zueinander zu fehlen.
Der Großteil des Buches hat mir sehr gut gefallen, lediglich am Schluss hätte die Autorin meiner Meinung nach mehr Mühe darauf verwenden sollen, die Intentionen der handelnden Personen zu beschreiben und zu erklären. Für mich sind am Ende noch einige Fragen offen geblieben und ich konnte manche Entscheidung so nicht richtig nachvollziehen.
Dennoch war Daria Bignardis Roman „So glücklich wir waren“ eine schöne und leichte Lektüre, die die oft schwierige Beziehung von Müttern und Töchtern beschreibt, besonders wenn das ein oder andere Familiengeheimnis nicht gelüftet wurde und einen bis zur Gegenwart hin belastet. 

Hier geht es zur Leseprobe vom Insel Verlag. 


Mittwoch, 28. September 2016

Jodi Picoult "Die Spuren meiner Mutter"

Jenna ist dreizehn Jahre alt, als sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter macht. Als sie drei war, ist ihre Mutter nach einem Unfall im Elefantenreservat, in dem sie arbeitete, aus dem Krankenhaus verschwunden und niemand hat sie jemals wiedergesehen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Polizisten Virgil und dem Medium Serenity will sie ihre Mutter jetzt endlich finden und die Wahrheit über die Geschehnisse vor zehn Jahren erfahren.
„Die Spuren meiner Mutter“ von Jodi Picoult erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Jenna, Virgil und Serenity und in Rückblenden das Leben von Alice, Jennas Mutter. Sie ist Elefantenforscherin und diese wunderbaren grauen Riesen sind die eigentlichen Protagonisten des Romans. Mit sehr viel Liebe und Zuneigung beschreibt Alice ihre Arbeit mit den Elefanten, ihre Gefühle füreinander und die Gruppendynamik. Sie forscht über die Trauer von Elefanten und der Verlust einer Elefantenmutter, wenn ihr Kalb stirbt oder tot geboren wird, kann einem beim Lesen einfach nur mitnehmen. Jedem Wort merkt man uneingeschränkte Liebe zu den Elefanten an, die ihr ganzes Leben bestimmt. Dennoch liebt sie ihre Tochter sehr und man kann sich kaum vorstellen, was am Ende dazu führte, dass sie sie verlassen haben soll.
Jodi Picoult hat mit „Die Spuren meiner Mutter“ ein unglaublich sensibles und tiefgehendes Buch über die Liebe zwischen Mutter und Tochter geschrieben. Die Gefühle von Trauer und Verlust, wenn Mutter und Tochter sich verlieren, prägt da gesamte Leben, nicht nur von Jenna, sondern beispielhaft auch das Leben der Elefanten, die ihre Mutter beobachtet. Trauer kennzeichnet ihr Verhalten wie das der Menschen und es ist auch für sie schwer, ein geliebtes Familienmitglied loszulassen.
Mich hat dieses Buch sehr berührt, sowohl Jennas Sicht als auch die Beobachtungen der Elefanten sind wunderbar poetisch und leicht beschrieben, obwohl es um so ein schweres Thema geht. Auch die Bedrohung der Elefanten durch Wilderer und Elfenbeinhandel wird im Roman thematisiert und macht ihn so auch politisch sehr aktuell. Egal wie man vorher zu diesen empathischen riesenhaften Tieren stand, nach der Lektüre dieses Romans muss man die Elefanten einfach lieben und bewundern. 

Hier geht es zur Leseprobe im C. Bertelsmann Verlag. 

Dienstag, 27. September 2016

Agatha Christie "Die große Agatha Christie Geburtstags-Edition"

Agatha Christie ist wohl die bekannteste Kriminalautorin der Welt und mit Hercule Poirot und Miss Marple hat sie zwei einzigartige Ermittler geschaffen. Auf dem Hörbuch „Die große Agatha Christie Geburtstags-Edition“ finden sich die drei Ge-schichten „Die Kleptomanin“, „Das unvollendete Bildnis“ und „Karibische Affäre“ zusammen, so dass man beiden Charakteren folgen kann. Abgerundet wird das Hörbuch, das zehn CDs umfasst, mit einem kurzen Feature zum Leben und Schreiben von Agatha Christie und ein O-Ton der Autorin selbst.
Die Laufzeit von über zwölf Stunden hört sich zunächst unglaublich viel an, doch die Zeit verfliegt wenn man in Agatha Christies Geschichten abtaucht. Die drei Stories werden von unterschiedlichen Sprechern gesprochen, was allen einen ganz eigenen Charakter verleiht. Auch die Sammlung der Geschichten ist sehr schön. Man hätte es sich einfach machen können, und einfach die bekanntesten nehmen können, wie zum Beispiel „Tod auf dem Nil“ oder „Mord im Orientexpress“. Doch die gewählten Geschichten bieten einen guten Überblick darüber, wie Agatha Christie ihre Geschichten aufbaute und mit welchen Tricks sie den Leser von Anfang an gefesselt hat. Zusammengefasst wird dieses Vorgehen nach den Geschichten dann sehr schön in dem Feature, hier dann allerdings am Beispiel von „Mord im Orientexpress“.
Mir hat das Hörbuch zum 125. Geburtstag von Agatha Christie im September diesen Jahres ausgesprochen gut gefallen, es ist kurzweilig, abwechslungsreich und es macht Spaß, der vertonten Reise von Agatha Christies Figuren zu folgen. Obwohl man Hercule Poirot und Miss Marple inzwischen so gut kennt, macht es immer wieder Freude, mit ihnen einen Fall zu lösen. 

Hier geht es zur Hörprobe im Hörverlag. 

Freitag, 23. September 2016

Noah Hawley "Vor dem Fall"

Auf dem Flug von Martha’s Vineyard nach New York stürzt ein Privatjet über dem Meer ab. An Bord waren ein Medienmogul und ein Finanzmanager mit ihren Familien und ein unbekannter Maler, Scott Bourroughs. Scott überlebt den Absturz ebenso wie der Junge JJ, den er aus den Fluten rettet und mit ihm an Land schwimmt. Er gilt als Held, der Grund für den Flugzeugabsturz ist jedoch unklar. Die Maschine war gerade gewartet, der Pilot äußerst erfahren. Scott muss feststellen, wie schwer es ist, mit der Aufmerksamkeit aller Menschen und Medien umzugehen und gleichzeitig den Behörden zu vertrauen, dass sie den Fall lösen werden.
„Vor dem Fall“ ist eine fesselnde Geschichte, nicht nur über einen Flugzeugabsturz sondern auch darüber, wer heute bestimmt was „wahr“ ist und wie die Welt wahrgenommen wird. Scott findet sich in einem wahren Strudel wieder, Fernsehteams belagern ihn und auch vor dem traumatisierten Jungen machen sie nicht halt. Die Geschichte zeigt, wie weit Medien gehen, um exklusive Informationen zu bekommen und wie schnell die Vorstellung von gerechtfertigtem Verhalten sich wandeln kann, wenn man den eigenen Vorteil sieht. Zwischen der Geschichte, wie sie in der Gegenwart erzählt wird, gibt es immer wieder Rückblenden, in denen die einzelnen Gäste des Flugs in der Zeit vor dem Absturz vorgestellt werden. Schnell wird klar, dass sie alle kein Leben geführt haben, dass man als „normal“ bezeichnen könnte. Sie gehörten zu den Superreichen, Geld spielte keine Rolle und damit hat sich bei Ihnen auch das Gefühl von Recht und Gerechtigkeit verschoben. Ihre Macht schien unbegrenzt, umso härter konnte sie auch fallen.
Der Roman „Vor dem Fall“ von Noah Hawley ist unglaublich spannend aufgebaut und fesselt einen als Leser an die Hauptfigur. Scott Borroughs ist einem sehr sympathisch, dennoch kann man bis zum Schluss nicht wissen, wer eigentlich Schuld an diesem Absturz ist. All das macht den Roman zu einer spannenden und unbedingt empfehlenswerten Lektüre. 

Hier geht es zur Leseprobe im Goldmann Verlag. 

Montag, 19. September 2016

Eugen Ruge "Follower"

Nio Schulz lebt im Jahre 2055, in Australien werden Klimabomben gezündet, Kinder werden von ukrainischen Leihmüttern ausgetragen und statt wirklich Sport zu machen, tragen die Menschen Muskel-Silikon-Implantate. Schulz reist nach Wú Chéng in China, wo er die neusten Entwicklungen seiner Firma an chinesische Partner verkaufen soll. Doch plötzlich ist Nio Schulz vom Radar der zahlreichen überwachenden Techniken verschwunden, die die Menschen mit sich herumtragen und niemand weiß, was geschehen ist. Niemand außer Nio Schulz.
Das Jahr 2055, das Eugen Ruge in seinem Roman „Follower“ beschreibt, scheint oberflächlich sehr schräg für uns, bei genauerer Betrachtung kommt es einem jedoch schon fast wie die Gegenwart vor. Technisch weit entfernt davon sind wir keinesfalls, Ruge führt die Oberflächlichkeit und das Geltungsbedürfnis in der heutigen Zeit einfach ad absurdum. Jeder lässt sich optisch manipulieren und operieren, wo es nur geht. Alles was zählt ist das Kapital und die Macht darüber, so kann man sogar seinen eigenen Tod wirtschaftlich verwerten und seine eigene Hinrichtung verkaufen, um Geld für die Hinterbliebenen zu erhalten. In dieser Umgebung bildet die Technik den Rahmen, der alle Menschen durch den Alltag leitet, computergesteuerte Brillen und implantierte Sonden sorgen für eine ständige Kommunikation. Suspekt ist, wer nicht oder wenig kommuniziert.
„Follower“ ist in einem ganz eigenen Stil geschrieben, als ständige Aneinanderreihung von Aspekten und Handlungen, die alle fast gleichwertig nebeneinander stehen. Die Hauptfigur ist zwar eigentlich vollständig in ihrer Zeit gefestigt und hat bewusst zunächst keine Probleme mit all der Kontrolle und Oberflächlichkeit, doch dann scheint ihn der Tod seines Großvaters, zu dem es keinen Kontakt mehr gab und über den er – wie er merkt- gar nichts weiß, völlig aus der Bahn zu werfen. Diese vollständige Haltlosigkeit der Hauptfigur, ihre Orientierungslosigkeit wird durch Ruges Stil direkt erfahrbar. Es gibt keine Distanz zu Schulz, als Leser erlebt man alles unmittelbar mit. Abgegrenzt davon stehen die verschiedenen Ermittlungsprotokolle zu der Suche nach dem verschwundenen Nio Schulz, die der Autor über den Roman verstreut und die von einer unglaublichen Distanz des ganzen geschaffenen Systems den darin lebenden Menschen gegenüber zeugen. Alles passt in Parameter und was nicht hinein passt, wirkt auffällig und anders. Der Mensch ist nur noch ein Zahlenmuster und ein Diagramm, das alles über ihn aussagt.
Eugen Ruges Roman „Follower“ hat mich unglaublich fasziniert und begeistert. Man muss sich schon auf die Geschichte einlassen und sich auch selbst fragen, was es bedeutet, ein Leben wie Nio Schulz zu führen, was die Abgründe sind und wie man sich selbst dabei verlieren kann. Ich kann jedem diesen Roman nur ans Herz legen, Ruge führt uns in einem Roman, der eigentlich als Science Fiction daherkommt, genau vor Augen, was eigentlich schon heute wichtige Themen sind. 

Hier geht es zur Leseprobe und weiteren Informationen des Rowohl Verlags. 

Freitag, 16. September 2016

Elizabeth Strout "Die Unvollkommenheit der Liebe"

Als die Protagonistin und Erzählerin Lucy von Elizabeth Strouts Roman „Die Unvollkommenheit der Liebe“ für längere Zeit aus etwas unklaren Gründen im Krankenhaus liegen muss, kommt ihre Mutter sie besuchen. Für die Erzählerin ist es ein bedeutender Besuch, den ihre Beziehung war nie besonders innig. Fünf Tage verweilt die Mutter auch nachts am Bett ihrer kranken Tochter und langsam beginnt die Erzählerin dabei, ihr Leben und die Beziehung zu ihrer Mutter aufzuarbeiten.
Elizabeth Strout ist mit diesem Buch ein unglaublich eindringlicher und direkter Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung gelungen. Die Erzählerin kommt aus ärmsten Verhältnissen und hat sich hochgearbeitet, ihre Mutter lebt nach wie vor mit ihrem Mann in ihrem Heimatort. Dass mit dem Vater etwas Schwerwiegendes in ihrer Kindheit vorgefallen ist, er vielleicht sogar Kriegstraumata hat und nicht ins Leben zurückfand, wird zwar angedeutet, genaueres erfährt man aber nicht. 
Lucy ist sehr überrascht von dem Besuch ihrer Mutter und lässt den Leser regelrecht ungefiltert an ihren Gefühlen und Gedanken teilhaben. Teilweise in längeren Abschnitten, manchmal aber auch nur in wenigen Sätzen auf einer Seite erfährt man sehr viel über ihr Innenleben und ihre Vergangenheit, was sehr bewegend ist und einen als Leser fast zum direkten Mitspieler der Geschichte macht, so distanzlos präsentiert sich Lucy uns. Bei den Berichten zu ihrer Mutter bringt sie eine Emotionalität auf, die einen als Leser gefangen nimmt, während sie regelrecht distanziert über ihren Mann und ihre Töchter schreibt. Zwar sagt sie, dass sie sie unglaublich liebt und sie ihr fehlen, sprachlich wird aber eindeutig nicht diese Nähe zum Leser aufgebaut wie in den Elementen, in denen es um ihre Kindheit, ihre Eltern oder auch ihr Schaffen als Autorin geht.
Mich hat das Buch „Die Unvollkommenheit der Liebe“ von Elizabeth Strout sehr berührt, von ihrer wunderbaren Sprache und der Beschreibung von Lucys Gefühlen war ich unglaublich beeindruckt. Selten hat auch ein Titel so gut gepasst wie dieser, denn dass die Beziehung von Mutter und Tochter nicht perfekt war, heißt ja nicht, dass sie keine Liebe verbindet. Ich kann nur jedem empfehlen, sich auf Elizabeth Strouts Geschichte einzulassen, es ist ein ganz besonderes Leseerlebnis. 

Hier geht es zur Leseprobe im Luchterhand Verlag. 

Donnerstag, 15. September 2016

Banana Yoshimoto "Lebensgeister"

Sayoko ist eine junge Frau, sie ist frei, unbeschwert und liebt ihren Freund. Bis ein einziger kurzer Moment ihr Leben verändert. Bei einem Autounfall wird sie schwer verletzt und ihr Freund kommt ums Leben. Nur langsam heilen ihre Verletzungen und noch viel langsamer findet sie danach ins Leben zurück. Sie ist nicht mehr dieselbe wie vor dem Unfall und es fällt ihr anfangs schwer, das zu akzeptieren.
Banana Yoshimoto schreibt in „Lebensgeister“ auf wunderbar poetische Weise über eine junge Frau, die eine Phase der inneren Zerstörung durchmacht und erst langsam wieder im Leben ankommt. Nach einer Nahtoderfahrung sieht sie die Welt in einem völlig anderen Licht, was für viele Menschen um sie herum schwer zu verstehen ist. Erst durch neue Bekanntschaften, die sie nicht vor dem Unfall kannten, fühlt sie sich wieder akzeptiert und langsam wieder menschlich. Obwohl die Geschichte eigentlich sehr traurig ist, schafft Yoshimoto es, die Figur der Sayoko die ganze Zeit dennoch positiv darzustellen, sie gibt nie den Glauben daran auf, dass ihr Leben wieder ganz wird. Es wird nie so werden wie vorher, aber anders und neu und damit auch wieder gut. Dieser Glauben der Hauptfigur und die unerschütterliche Geduld mit sich selbst, während sie sich und ihr Leben neu sortiert, haben mich wirklich beeindruckt.
„Lebensgeister“ von Banana Yoshimoto ist keine pompöse, langatmige Geschichte über hunderte von Seiten. Es ist ein leises, berührendes kleines Buch, mit einer unglaublich starken und außergewöhnlichen Hauptfigur und sicher ein Buch, das man immer wieder lesen kann, um Neues zu entdecken. Wer auf der Suche nach einer besonderen Geschichte ist, ist bei Banana Yoshimoto garantiert richtig. 

Hier geht es zur weiteren Informationen und der Leseprobe vom Diogenes Verlag. 

Dienstag, 13. September 2016

Jeffrey Archer "Im Schatten unserer Wünsche"

Endlich geht die Saga rund um die Familie von Harry Clifton weiter. In diesem inzwischen vierten Band steht jedoch nicht Harry im Mittelpunkt, sondern sein Sohn Sebastian und seine Frau Emma. Diese hat im Vorstand des Schifffahrtsunternehmens Barrington einen Machtkampf um den Bau eines neuen Luxusliners auszufechten, während Sebastian sich entscheiden muss, ob er nach einem schweren Unfall seinen Studienplatz in Cambridge noch annehmen will oder gleich ins Berufsleben einsteigt. Der Familie Clifton gegenüber steht mit dem argentinischen Geschäftsmann und Kriminellen Don Martinez ein großer Gegenspieler. Bereits im vorhergehenden Roman hatte diese Feindschaft begonnen und endete in einem Anschlag auf Sebastian. Jetzt versucht der gewiefte Geschäftsmann erneut alles, um die Familien Clifton und Barrington zu zerstören.
Jeffrey Archer zeigt auch in diesem Band wieder sein herausragendes Talent als mitreißender Erzähler. Lebhaft entwickelt sich die Geschichte um die Familie Clifton vor dem inneren Auge des Lesers, die Figuren bleiben nicht zu starr, sondern schaffen es auch sich weiterzuentwickeln, besonders mit dem Fokus auf Emma Clifton in diesem Band ist Archer ein schöner Schwerpunktwechsel gelungen. Harry hält sich stärker im Hintergrund, er ist als Krimiautor sehr erfolgreich, spielt im politischen und wirtschaftlichen Leben aber eher eine zurückhaltende Rolle. Auch Sebastians Entwicklung zu verfolgen bleibt spannend, er entdeckt seine Talente und findet einen sehr charismatischen Förderer. Archer bleibt bei seiner Saga nicht auf der Stelle stehen, er hat keine Skrupel sich von wichtigen Figuren der Story zu trennen, indem er sie sterben lässt und führt gleichzeitig neue Figuren ein, die der Handlung neue Impulse geben. Doch auch gute alte Sidekicks wie Giles Barringtons überkandidelte verwöhnte Exfrau haben den ein oder anderen bemerkenswerten Auftritt.
Im Schatten unserer Wünsche“ ist großartige Unterhaltungsliteratur, ein richtiger Schmöker, den man in einem Rutsch durchlesen möchte. Es gibt wenige Buchreihen, die auch im vierten Band noch so viel Spannung und Spaß vermitteln ohne langweilig zu werden, daher von mir eine unbedingte Empfehlung, die Clifton-Saga auch weiterhin zu lesen. Durch den Cliffhanger am Ende wird man natürlich wieder etwas in der Luft hängen gelassen, bis nächstes Jahr ein neuer Band erscheint, aber damit werden wir Leser leider leben müssen. Im April 2017 geht es weiter und ich kann es schon wieder kaum noch erwarten. 

Hier geht es zur Leseprobe im Heyne Verlag. 

Hier gibt es den Buchtrailer zum ersten Band der Clifton-Saga "Spiel der Zeit" .


Delphine de Vigan "Nach einer wahren Geschichte"

Delphine ist völlig überrollt vom Erfolg ihres vorhergehenden Romans, als L. in ihr Leben tritt. Sie leidet unter einer Schreibblockade und schafft es einfach nicht, ihr neues Buch zu beginnen, sie ist unsicher, zerrissen und müde. In dieser Situation schleicht L. sich in ihr Leben und scheint es regelrecht zu übernehmen. Sie beeinflusst Delphine und gibt vor, sie auf die richtige Bahn bringen zu wollen, während Delphine unter ihrem Einfluss immer kleiner zu werden scheint. Doch was will L. eigentlich von Delphine? Will sie ihre Freundin sein, ihr helfen oder einfach sie sein, die Person Delphine, die so erfolgreich ist?
Delphine die Vigan nimmt den Leser in „Nach einer wahren Geschichte“ mit in eine Welt, in der sich Fiktion und Realität überschneiden und sich gegenseitig aufzulösen scheinen. Ist die Erzählerin in dem Roman, Delphine, wirklich Delphine de Vigan, die Autorin? Ist die Geschichte wahr, gab es im Leben der Autorin diese L., die ihr Leben geradezu manipuliert hat? Wir wissen es als Leser nicht und müssen es auch nicht wissen, um uns von dieser psychologisch so fein ausgearbeiteten Geschichte völlig fesseln zu lassen. So subtil geht L. vor, dass ihre Freundschaft zu Delphine zunächst eine Hilfe für sie zu sein scheint. Doch L.s radikale Vorstellung von einer Literatur, die nur die Realität beschreiben dürfe, treibt die Erzählerin Delphine immer mehr in die Ecke und in ihre totale Isolation. Am Ende scheint L. der letzte Anker zum wahren Leben zu sein, während sie gleichzeitig Delphines Verbindung zu eben diesem Leben kappt.
Delphine de Vigan beschreibt die Beziehung der beiden Frauen auf eine sehr ruhige und unaufgeregte Weise, dennoch entwickelt sich vor den Augen des Lesers ein regelrechter Psychothriller, den man nicht mehr aus der Hand legen kann. Die Abhängigkeit zwischen zwei Menschen beschreibt die Autorin so realistisch und L.s scheinbar zufälliges Handeln so glaubwürdig und nachvollziehbar, dass man als Leser ganz dicht dran ist an den Figuren und immer wieder das Bedürfnis empfindet, selbst einzugreifen und Delphine zu warnen. Delphines Gefühle erreichen uns völlig dabei anscheinend ungefiltert und sind daher umso eindringlicher beim Lesen.
Was an „Nach einer wahren Geschichte“ letztendlich Fiktion und was Realität ist, ist völlig egal. Delphine di Vigan spielt so großartig mit Erwartungen ihrer Leser, dass man von der ersten Seite gefesselt ist und wie Delphine von L. von der Geschichte völlig gefangen ist. Delphine de Vigan ist ein außergewöhnliches Buch gelungen, das einen als Leser auf beeindruckende Weise mitnimmt und auch nach der letzten Seite lange nicht mehr loslässt. 

"Nach einer wahren Geschichte" von Delphine de Vigan ist erschienen im DUMONT Verlag, hier geht es zu weitere Informationen zu dem Buch.

Donnerstag, 8. September 2016

Meg Rosoff "Wahrscheinlich Liebe"

Jonathan liebt seine Freundin Julie. Glaubt er. Also vielleicht. Und sein Job ist auch total cool. Wenn man von der Arbeit absieht. Und dem Chef. Also alles in allem befindet Jonathan sich in einer ziemlich unsicheren Phase seines Lebens, als er die zwei Hunde seines Bruders in Pflege nimmt, der beruflich für sechs Monate nach Dubai muss. Schnell stellt er fest, dass es mit Futter kaufen und gelegentlich Gassi gehen nicht getan ist. Dante und Sissy wollen Aufmerksamkeit und schnell entwickelt er einen ausufernden Beschützer-instinkt, wenn es um das Wohlbefinden der beiden geht. Bei den Hunden ist Jonathan endlich er selbst. Und als er mit Dante zum Tierarzt muss, lernt er eine Frau kennen, die gut zu ihm zu passen scheint. Doch da ist ja auch noch Julie, die er ja irgendwie vielleicht doch liebt. Jonathan muss also versuchen, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen.
Was auf dem Klappentext wie eine simple Liebesgeschichte mit absehbarem Happy End klang, entpuppte sich für mich als wunderbarer Roman über einen jungen Mann, der sinnbildlich für eine ganze Generation gut ausgebildeter Menschen der Generation Praktikum seinen Sinn des Lebens sucht. Er muss feststellen, dass der Job in der einer Werbeagentur, von dem er immer geträumt hat, längst nicht so viel Glamour (und auch lange nicht so viel Geld) bietet, wie er immer dachte. Auch seine Freundin scheint von ihm und seinem Leben mehr erwartet zu haben, was einen immensen Druck auf ihn ausübt, den er nur durch die Hunde kompensieren kann. 
Dante und Sissy sind nicht einfach nur Hunde, sie sie ausgeprägte Persönlichkeiten mit Hintergedanken, Plänen und Hoffnungen. Die Beschreibung der beiden ist so kreativ und gleichzeitig witzig, dass ich beim Lesen schnell ein Bild der beiden hochintelligenten Tiere vor mir hatte. Eigentlich übernehmen sie in Jonathans Leben die Kontrolle und retten ihn so vielleicht vor der Katastrophe. Sie sind sein Fluchtpunkt, von dem ab sofort alles in seinem Leben ausgeht, nachdem sie sein Herz und seine Wohnung erobert haben. Man sollte sich Jonathan dennoch nicht als Freak vorstellen, er ist sehr liebenswürdig und sympathisch, nur ohne einen Platz im Leben. Man hat als Leser immer Lust, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen, um ihn näher kennenzulernen.
Meg Rosoff ist mit „Wahrscheinlich Liebe“ ein witziger und auch wenig nachdenklicher Roman über den Zwang, irgendwann erwachsen zu werden, gelungen. Mich hat die Story wirklich positiv überrascht und ich kann das Buch nur weiterempfehlen.

Hier geht es zur Leseprobe im Goldmann Verlag. 


Montag, 5. September 2016

Miroslav Nemec "Die Toten von der Falkneralm"

Die Person Miroslav Nemec kennt die Öffentlichkeit fast nur als Ivo Batic, den Münchener Tatort-Kommissar. Daher soll Nemec bei einem Krimi-Wochenende auf der Falkneralm als Stargast fungieren, aus Krimis lesen und mit den Gästen über Fiktion und Realität im Krimi diskutieren. Doch kaum ist Nemec auf der Alm eingetroffen, beginnt ein Unwetter sondergleichen und alle Teilnehmer sind ohne Telefon oder Internet auf dem Berg eingesperrt. Als dann noch mehrere Leichen auftauchen, muss der Schauspieler den Kommissar in sich suchen und beginnt zu ermitteln.
Miroslav Nemec ist mit diesem Roman, der die Grenzen zwischen der realen Person Miroslav Nemec und der Hauptfigur in der Geschichte immer wieder verwischt, eine spannende und geradezu witzige Story gelungen. Es ist sehr unterhaltsam wie Nemec als bekannter Fernseh-Kommissar einerseits mit den Erwartungen der Menschen umgehen muss, als Tatortdarsteller müsse er doch zumindest den Grundstock an Polizeiarbeit beherrschen und ihm gleichzeitig viele mit dem Vorurteil begegnen, er als Schauspieler wolle sich bei den Ermittlungen jetzt ja nur wichtigmachen. Auf diesem schmalen Grad turnt Nemec also eine stürmische Nacht lang, in der eine Leiche nach der anderen aufzutauchen scheint. 
Auch die Nebenfiguren sind dem Autoren Nemec sehr gut gelungen, egal ob der inzwischen pensionierte Polizist Mees oder der leicht aggressive Herr Simon, der schon recht früh das zeitliche segnen muss, alle sind sehr detailliert beschrieben und werden vom Charakter her schon nach wenigen Zeilen sehr deutlich. Man merkt dem Autoren eine sehr gute Beobachtungsgabe an, so schnell wie er seine Figuren mit Worten präsentiert hat man als Leser gleich ein sehr gutes, wenn auch gewollt sehr subjektives Bild vor Augen. Denn alles was wir erfahren, sehen wir durch die Augen von Nemec, der uns an seinen Beobachtungen teilhaben lässt. So hat man auch zu keinem Zeitpunkt einen Wissensvorsprung gegenüber dem Erzähler. Die Handlung wird sehr stringent erzählt, alles bleibt in seiner chronologischen Reihenfolge ganz ohne Perspektivwechsel, jedoch auch ohne langweilig zu werden. Der Blick von Nemec ist so originell, dass einem beim Lesen nichts fehlt.
Obwohl es ein Krimi ist, ist „Die Toten von der Falkneralm“ ein sehr ruhiges und zugleich wunderbar geistreiches Buch. Ich hoffe sehr, dass Miroslav Nemec die Rolle des Ivo Batic in Zukunft öfter gegen den Platz am Schreibtisch tauscht, um noch viele Ideen zu Papier zu bringen. Das Spiel mit Realität und Fiktion ist ihm großartig gelungen und lässt den Autor Nemec hoffentlich bald wieder in Aktion treten. 

Hier geht es zur Leseprobe im Knaus Verlag. 

Sonntag, 4. September 2016

Luis Sellano "Portugiesisches Erbe"

Henrik Falkner kennt seinen Onkel nicht, der seit Henriks Kindheit in Lissabon lebt und von der Familie verstoßen wurde. Warum weiß Henrik nicht, doch als er erfährt, dass eben dieser unbekannte Onkel ihm ein Haus in Lissabon vererbt hat, fährt er spontan nach Portugal. Dort muss er schnell feststellen, dass sein Onkel Martin ihm offensichtlich nicht nur das Haus mit seinen kuriosen Bewohnern, sondern auch eine offene Ermittlung hinterlassen hat. Auf was sich sein Onkel genau eingelassen hat, kann Henrik zwar zunächst nicht verstehen, doch all seine Freundin sind sich sicher, dass Martin keines natürlichen Todes gestorben ist. Jemand wollte ihn aus dem Weg räumen. 
Luis Sellanos Krimi „Portugiesisches Erbe“ spielt vor der wunderschönen Kulisse Lissabons, die der Autor auch detailliert und sehr schön beschreibt. Auch die Story ist als Idee gut gelungen, Henrik findet sich als ehemaliger Polizist mitten in einem Kriminalfall wieder und muss jetzt plötzlich auf eigene Faust ermitteln. Leider bleiben die Figuren alle sehr flach und nehmen einen als Leser nicht richtig mit. Obwohl Henrik als absolute Hauptfigur im Mittelpunkt steht und man auch einiges über ihn und seine Vergangenheit erfährt, hat mich sein Schicksal nicht bewegt und sein sprunghaftes Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen empfand ich oft einfach als störend. Gleiches gilt für seine Reaktion auf Frauen, die hier eigentlich nur als Projektionsflächen für Sex oder seine traurige Vergangenheit herhalten müssen und keine wirklichen Individuen sind. Die Entwicklung der Geschichte springt dazu noch manchmal so hin und her, dass mir einfach ein roter Faden beim Lesen fehlte, wo alles hinführen soll. Was bis zum Schluss leider unklar bleibt, ist die Frage, warum Henriks Onkel sich überhaupt mit dieser Ermittlung beschäftigt hat. 

Für alle Lissabon-Fans ist „Portugiesisches Erbe“ sicher ein schönes Buch mit wunderbaren Beschreibungen, man merkt, dass der Autor Luis Sellano Lissabon wirklich liebt. Für alle Krimi-Fans ist das Buch jedoch eher eine Enttäuschung. 

Hier geht es zur Leseprobe im Heyne Verlag. 

Chris Karlden "Der Todesprophet"

Ben Weidner reist als Journalist nach Äthiopien und wird dort von Rebellen entführt. Um sein eigenes Leben zu retten, muss er einen Unschuldigen umbringen. Zurück in Deutschland findet er nicht zurück in sein Leben, er verliert seinen Job und seine Frau verlässt ihn mit seiner Tochter. Doch plötzlich ändert sich sein Leben erneut komplett, als Ben eine Bekannte nach einem Treffen am Vorabend tot in ihrer Wohnung findet. Alles deutet darauf hin, dass er der Täter ist. Seit den Geschehnissen in Äthiopien leidet er unter Blackouts und so versucht nicht nur die Polizei herauszufinden, ob er der Mörder ist. Auch Ben selbst muss sich fragen, ob er zu so etwas fähig wäre. 
„Der Todesprophet“ ist ein unglaublich mitreißender und spannender Thriller mit sympathischen Figuren und vielen irreführenden Handlungen. Ben Weidner wächst einem schnell ans Herz, so zerstört und am Boden wie er nach seinen Erfahrungen in Äthiopien ist, wünscht man ihm nur das Beste. Doch gleichzeitig muss man an ihm zweifeln, denn der Autor lässt auch seine Leser im Dunkeln, wer der wirkliche Täter ist. Nur ganz langsam deutet sich an, was alles hinter dem Mord stecken könnte und was alles mit Ben zu tun hat. Dadurch kann man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und muss immer noch schnell weiterlesen, wie es auf der nächsten Seite, im nächsten Kapitel weitergeht. Ich musste das Buch fast in einem Rutsch durchlesen, weil ich mich gar nicht mehr von Ben und seiner Story trennen konnte. Gleichzeitig ist der Aufbau sehr logisch und glaubwürdig konstruiert, was die Geschichte nur um so spannender macht. 

Mich hat „Der Todesprophet“ von Chris Karlden von der ersten Seite an begeistert und mitgerissen. Ich habe schon lange keinen Thriller mehr gelesen, dessen Story bis ins kleinste Detail so spannend war, dass man nicht mehr aufhören konnte zu lesen. „Der Todesprophet“ ist nicht nur für Thrillerfans absolut empfehlenswert.