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Montag, 29. Februar 2016

Emanuel Bergmann "Der Trick"


Der Trick

Emanuel Bergman erzählt in der „Der Trick“ die Geschichten von Moshe Goldenhirsch, geboren in Prag während des ersten Weltkriegs, und Max Cohn, einem elf Jahre alten Jungen, der im heutigen L.A. lebt. Als seine Eltern sich scheiden lassen wollen, macht Max sich auf die Suche nach dem „Großen Zabbatini“, als der Moshe Goldenhirsch einstmals Berühmtheit erlangte. Er soll seine Eltern mit einem Liebeszauber wieder zusammenbringen.
Bergman erzählt abwechselnd von der Gegenwart und der Vergangenheit von Moshe, so dass man als Leser langsam immer besser versteht, warum er dort gelandet ist, wo Max ihn findet. Die Geschichte des jüdischen Jungen in Prag, der auszieht, um seinen Traum zu leben und ein großer Zauberer zu werden ist sehr bewegend, ebenso wie Max‘ Versuch, seine Eltern wieder zu vereinen. Ich habe selten eine so liebevoll und warmherzig geschriebene Geschichte gelesen, Emanuel Bergmann scheint seine Figuren wirklich zu lieben und gibt einem als Leser die Möglichkeit, ihnen trotz ihrer Schwachstellen bedingungslos zu folgen. Die Vehemenz, mit der Max seine Eltern beschützen will und sein rücksichtloser Glaube an die Kraft der Magie, den Moshe hingegen schon verloren zu haben glaubte, bringt die beiden so unterschiedlichen Protagonisten zusammen und gibt ihnen beiden wieder Hoffnung. Denn der „Große Zabbatini“ ist nicht mehr viel mehr als eine gescheiterte Persönlichkeit, die seinen alten Erfolgen nachhängt und auf sein baldiges Ende hofft. Mit dem Eintreffen von Max in seinem Leben, ändert sich für ihn alles, plötzlich sieht jemand in ihm wieder den großen Zauberer, der er einmal war und er packt noch einmal sein ganzes Repertoire der Illusionen aus, um Max‘ Hoffnungen nicht zu zerstören.
„Der Trick“ vonEmanuel Bergman ist ein außergewöhnlich warmherziger und hoffnungsvoller Roman. In einer Zeit, in der alles naturwissenschaftlich erklärt werden soll, schafft der „Große Zabbatini“ es noch einmal, uns als Leser vollständig zu verzaubern und in seine Welt der Illusionen zu entführen. Ein großartiger Debutroman auf den hoffentlich noch viele weitere folgen. 

Mittwoch, 24. Februar 2016

Jean-Philippe Blondel "This is not a love song"


This is not a love song


Vincent ist Franzose, lebt aber mit seiner Frau und seinen Töchtern in London, wo er eine gutgehende Restaurant-Kette betreibt. Als seine Frau ihm überraschend eröffnet, dass sie etwas Zeit für sich braucht und mit den Kindern zu ihren Eltern fährt, lässt er sich von ihr überreden, in der Zeit auch seine Familie in Frankreich zu besuchen. Doch statt auf eine glückliche Familie trifft er auf Schweigsamkeit, stille Vorwürfe und Geheimnisse. Mit der Zeit wird klar, dass die Probleme schon lang zurückliegen und Vincent selbst nicht unschuldig an der Situation ist.
„This is not a love song“ von Jean-Philippe Blondel ist ein sehr kraftvoller, aber auch ruhiger Roman über einen Mann, der sich ungewollt mit seiner Vergangenheit konfrontiert sieht. Er hatte sich in London ein Leben aufgebaut und seine Zeit in Frankreich davon völlig abgeschlossen. Er sieht auf seinen Bruder und seine Eltern herab, die nie aus dem kleinen Ort in Frankreich rausgekommen sind und seiner Meinung nach keine Ambitionen haben. Vincent ist keine besonders sympathische Hauptfigur, er wirkt selbstgerecht und verurteilt seine Mitmenschen für ihr Leben. Es herrscht eine unglaubliche Sprachlosigkeit zwischen den Charakteren des Buches, obwohl es Dinge zu erzählen geben, Diskussionen geführt werden müssten, scheinen sich alle nur schweigend anzublicken.
Vincent wirft seiner Familie vor, ihm nicht erzählt zu haben, was mit seinen alten Freunden geschehen ist, gleichzeitig hat er sich nie bei Ihnen gemeldet, in dem Moment als er Frankreich verließ hat er das Interesse an ihnen verloren. Er dachte, er könnte in dieser Woche einfach an alte Zeiten anknüpfen und ist hin und hergerissen zwischen der Wut auf die Welt und alle anderen und die Wut auf sich selber, weiß nicht was er tun soll und will gleichzeitig keine Verantwortung übernehmen. Sein Ziel ist einfach nur, die Woche zu überstehen und zurück nach England zu fahren, weit weg von allem, was in verunsichern oder sein Leben in Frage stellen könnte.
Blondel schreibt all dies in einer sehr kurzen, aber dennoch fast poetisch anmutenden Sprache. Die Abgehacktheit vieler Sätze lässt einen das Gefühl haben, sehr nah an Vincent dran zu sein, seinen Gedanken direkt zu folgen und seiner Zerrissenheit nachzuspüren. „This ist not a love song“ ist ein besonderes Buch, es braucht Zeit, man muss sich fallen lassen und sich auch auf die eigene Diskussion einlassen. Welche Verantwortung haben wir für unsere Mitmenschen? Inwieweit sind wir verpflichtet, für sie da zu sein, können wir uns als unabhängige Insel betrachten, ohne Familie, Freunde, Beziehungen? Vincent scheint in einem Selbstbetrug zu leben, aus dem ihn nichts wirklich rausreißen kann, in London erwartet ihn seine perfekte, rosarote Welt. Doch mit diesen Fragen wird auch er weiterleben müssen.
Blondel hat mit „This is not a love song“ wunderbares Buch für ganz besondere Lesemomente geschaffen.


Montag, 22. Februar 2016

Jürgen Seibold "Pferdefuß"

Als von seinem Campingplatz im Allgäu nachts ein Gast plötzlich verschwindet, sieht Jörg Burghamer eigentlich keinen Grund, die Polizei zu rufen. Die Miete ist schließlich bis Ende der Woche bezahlt und der Gast hat die Hütte sauber und ordentlich zurückgelassen. Doch der alte Frieder, der nachts oft seine Runden über den Campingplatz dreht, überzeugt ihn davon, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Also müssen Kommissar Hansen und sein Team ermitteln. Als in einer abgebrannten Scheune dann auch noch eine Leiche gefunden wird, rutschen die Ermittler immer tiefer in einen alten, schon fast vergessenen Fall hinein. 
Zwar gibt es bereits drei vorhergehende Geschichten der Allgäu-Krimis von Jürgen Seibold, doch auch ohne diese zu kennen kommt man als Leser schnell in die Geschichte rein. Der Fall ist kurzweilig erzählt und die Charaktere sehr sympathisch, besonders das Nordlicht Hansen im tiefsten Bayern ist natürlich sehr unterhaltsam. Er hat sich aber schon recht gut eingelebt, so dass der Kulturschock inzwischen abgeklungen ist. 
Der Fall selbst ist zwar logisch aufgebaut, dennoch plätschert die Lösung eher langsam dahin, an manchen Stellen habe ich die Spannung vermisst, die entsteht, wenn ein Fall  Stück für Stück aufgeklärt wird. Das mag auch daran liegen, dass eigentlich nicht wirklich im Fall der Leiche nach dem Brand ermittelt wurde, sondern schnell nur noch in einem alten Fall, der damit in Verbindung stehen könnte. Das nahm dem ganzen Plot ein bisschen Spannung, Zeugen gab es kaum noch und die Aussagen sind nach über zehn Jahren auch anzuzweifeln. Ich hätte mir ein bisschen mehr Abwechslung im aktuellen Fall gewünscht und eindeutig mehr Perspektivwechseln. Zu Beginn wird auch aus Sicht des Täters erzählt, das löst sich aber leider ganz schnell wieder auf. Dieser ständige Wechsel der Erzählperspektive hätte der Geschichte noch mehr Spannung  und Bewegung geben können. 
Dennoch ist „Pferdefuß“ von Jürgen Seibold ein gut geschriebener und unterhaltsamer Provinzkrimi, der hauptsächlich von seinen sympathischen Charakteren lebt und der sich durchaus zu lesen lohn. 

Sonntag, 21. Februar 2016

Lucinda Riley "Die Sturmschwester"


Alkione, genannt Ally, ist die zweite der sechs Schwestern, die ihr Vater, genannt „Pasalt“, im Laufe der Jahre adoptiert hat. Sie leben gemeinsam mit ihm und „Ma“, einer Art Haushälterin und Adoptivmutter, in einem prachtvollen Haus am Genfer See und wachsen behütet auf. Als ihr Vater stirbt, hinterlässt er allen Schwestern einen Hinweis auf ihre Vergangenheit und nach einem erneuten Schicksalsschlag macht sich die „Sturmschwester“ Ally auf die Suche nach ihren Wurzeln. 
Nach dem ersten Band „Die sieben Schwestern“ setzt Lucinda Riley die Reihe jetzt mit „Die Sturmschwester“ fort und wie im ersten Band begibt man sich mit einer der Schwestern auf eine Reise in die Vergangenheit. Der Stil bleibt dabei gleich, in Rückblenden werden Geschichten aus Vergangenheit erzählt, die auf den ersten Blick keinen Bezug zu Ally haben, doch Stück für Stück hebt sich der Vorhang, der die Zusammenhänge versteckt gehalten hat. Dabei lebt die Geschichte von den sympathischen Charakteren, denen man einfach nur das Beste wünscht, den spannenden historischen Bezügen und dem mitreißenden Stil der Autorin. Obwohl auch dieses Hörbuch mit über 17 Stunden in der ungekürzten Lesung wieder sehr lang ist, lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen. Langeweile kommt an keiner Stelle auf und durch die Sprecherwechsel weiß man immer, wo man sich in der Geschichte bewegt. Die Sprecher setzen die Rollen dabei großartig um und bringen einem die Charaktere sehr schnell näher, man hat sofort ein Bild von ihnen im Kopf und fühlt mit ihnen. 
Am Ende nutzt Lucinda Riley den gleichen Kniff wie bei den „Sieben Schwestern“, indem nämlich schon die Geschichte der nächsten Schwester angedeutet wird. Jetzt bleibt nur noch sehnsüchtig abzuwarten, bis endlich Band drei der Reihe erscheint. Und nach  wie vor ist unklar, wer denn nun die siebte Schwester ist, wenn es sie überhaupt gibt?

Samstag, 20. Februar 2016

Ursula Poznanski "Stimmen"

Wieder einmal ermitteln Beatrice Kaspary und Florin Wenninger in einem ungewöhnlichen Mordfall. In einer psychiatrischen Klinik wird ein junger aufstrebender Arzt ermordet aufgefunden und keiner der möglichen Zeugen kann wirklich weiterhelfen, da sie alle Patienten der Trauma-Station sind. Einige sprechen gar nicht, andere hören Stimmen oder reden wirres Zeug. Mühsam nehmen Florin und Bea ihre Arbeit auf und versuchen, wenigstens von den anderen Ärzten glaubwürdige Aussagen zu bekommen.
Mit „Stimmen“ ist Ursula Poznanski erneut ein großartiger und spannender Thriller der Reihe um das sympathische Polizistenduo in Österreich gelungen. Der Roman ist ein wahrer „Pageturner“, ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, nachdem ich begonnen hatte. Die Figuren, die man bereits aus den ersten Romanen kennt, sind ausgesprochen sympathisch und auch wenn ihr Privatleben immer mal wieder eine Rolle spielt, nimmt es nie zu viel Raum in der Geschichte ein. Es dienst lediglich dazu, ihren Charakter zu beschreiben und einen Hintergrund zu bilden, im Vordergrund stehen jedoch eindeutig der Mordfall und die Patienten in der Klinik. Die verschiedenen Krankheitsbilder beschreibt die Autorin dabei sehr detailliert, so dass dem laienhaften Leser auch schnell klar wird, worin das Problem bei den Befragungen und Zeugenaussagen liegt. Gleichzeitig sind die Patienten teilweise so liebenswert, dass man mit ihnen an ihren Krankheiten leidet. Was sie teilweise erlebt haben, ist kaum in Worte zu fassen und bewegt einen als Leser ebenso wie die engagierte Polizistin Bea. 
Der Aufbau des Thrillers ist trotz der vielen Charaktere sehr logisch und strukturiert, es gibt keine Unklarheiten und das Ende war für mich dann doch mehr als überraschend. Für mich hatte sich diese Auflösung in keiner Weise angedeutet, genau so wie ein spannendes Buch meiner Meinung nach sein sollte. 
Wie die beiden Bücher „Fünf“ und „Blinde Vögel“ ist auch die dritte Geschichte von Bea und Florin uneingeschränkt empfehlenswert für alle, die spannende Literatur zu schätzen wissen, die nicht mit viel Blut, Explosionen und dem simplen Grusel des Lesers arbeiten muss, um einen mitzunehmen. 

Dienstag, 16. Februar 2016

Lydie Salvayre "Weine nicht"

Montse ist 14 Jahre alt, als sie 1936 mit ihrem Bruder José aus einem kleinen Dorf in die Stadt nach Barcelona geht, beseelt vom Gedanken und der Idee des Anarchismus, deren Anhänger in Spanien gegen Franco und seine Armee kämpfen, die von der katholischen Kirche unterstützt werden. Nach einiger Zeit kehrt Montse jedoch zurück in ihr Dorf – unehelich schwanger und desillusioniert fügt sie sich in das Leben, das ihre Eltern für sie vorgesehen haben. Montses Geschichte stellt die Autorin Lydie Salvayre George Bernanos gegenüber, ein Autor und glühender Katholik, der auf Mallorca die furchtbaren Säuberungsaktionen des Regimes miterlebt und seine eigene Kirche nicht mehr wieder erkennt, die all den Mördern für ihre grausamen Taten die Absolution erteilt ohne mit der Wimper zu zucken.
„Weine nicht“ von Lydie Salvayre ist ein sehr starkes, poetisches und emotionales Buch. Josés uneingeschränkte Begeisterung für die Revolution trifft auf die Desillusionierung von Montse, die sich einfach in ein Leben fügt, das für sie vorgesehen zu sein scheint. Daran zerbricht letztendlich das Verhältnis der Geschwister. Erzählt wird die Geschichte rückwirkend von Montse, die als alte Frau am Fenster sitzt und ihre Lebensgeschichte ihrer Tochter erzählt. Sie scheint das alles loswerden zu müssen, bevor sie stirbt, als würde es ihr auf der Seele brennen, von diesem Sommer 1936 zu erzählen, der schönsten Zeit ihres Lebens, wie sie sagt. Die Aufregungen der großen Stadt, die Euphorie des Sieges hatten sie in einen Taumel fallen lassen, aus dem plötzlich aufwachen musste, als feststellte, dass sie schwanger war und nicht einmal den Nachnamen des Kindesvaters kannte, der längst wieder auf Seiten der Anarchisten im Bürgerkrieg kämpfte. Ob sie diesen Schwindel rückwirkend nur verklärt und die negativen Seiten ausblendet oder ob sie damals wirklich so glücklich war – dieses Urteil muss der Leser für sich selber fällen.
Die negativen Seiten beschreibt sehr berührend die Position von Bernanos, er spricht von Männern, die nachts aus dem Bett gezerrt und erschossen werden, von ganzen Transporten von Menschen in den Tod, alles unter dem Deckmantel der katholischen Kirche. Die ganze Episode ist ein Armutszeugnis für diese Kirche, die sich nur an einer alten Macht und ihren weltlichen Einfluss klammert, wie Bernanos enttäuscht feststellt. Die Kälte und Brutalität seiner Sichtweise bildet einen verstörenden Kontrast zu Montes zauberhaften Erinnerungen an den Sommer ihrer Träume.
Lydie Salvayre hat ein bewegendes Buch geschaffen und gleichzeitig ihrer Mutter in der Figur der Montse ein Denkmal gesetzt. Es lohnt sich auf jeden Fall, dieses Buch zu lesen und sich danach vielleicht noch ein wenig mehr mit diesem Krieg zu beschäftigen, in den auch Deutschland damals keine ruhmreiche Rolle gespielt hat.  

Samstag, 13. Februar 2016

Ben Bauhaus "Bullet Schach"

Johannes Thiebeck ist Schachboxer und ehemaliger Polizist. Nach einem unklaren Todesfall während eines Einsatzes darf er nicht mehr beim LKA arbeiten und verdient sich sein Geld durch gelegentliche Sicherheitsberatungen. Doch als der Sohn seines Trainers tot in seinem Auto aufgefunden wird und er erfährt, dass der ehemalige Kollege, gegen den er gerade eine Partie Online-Schach spielt, schon vor einigen Wochen ermordet wurde, muss er wieder mit seinen alten Kollegen zusammenarbeiten. Was steckt hinter den Morden und dem mysteriösen Schachspiel? 
Dies ist der erste Band der Reihe um den Ex-Polizisten Johnny Thiebeck, doch schnell wird klar, dass es auch hierzu eine Vorgeschichte gibt, die noch nicht ganz erzählt ist. Am Anfang fand ich das etwas irritierend, doch man bekommt schnell alle Informationen, um der Geschichte folgen zu können. Dennoch blieb das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. 
Die Story ist sehr spannend, für jede geschlagene Schachfigur von Thiebeck bringt der Täter eine Person in Thiebecks Umfeld um. Wer das ist, lässt sich jedoch nicht voraussagen. Da kann auch die äußerst sympathische und leicht schrullige Psychologin Professor Körner nicht helfen. Sie bleibt auch die einzige Person, gegenüber der Thiebeck nicht nur sein Macho-Gehabe an den Tag legt, sondern der er wirklich etwas erzählt und vertraut. Trotzdem kann sie ihm nicht wirklich weiterhelfen. Die Spannung, die aus der Zusammenarbeit von Thiebeck und seinen ehemaligen Kollegen und natürlich auch seinem Nachfolger beim LKA entsteht, ist für den Leser zugleich unterhaltsam und spannend, denn wirklich zu trauen scheint er im Verlauf der Ermittlungen niemandem, außer Frau Körner und seiner ehemaligen Kollegin Jana Kleidermann. 
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, der Fall ist spannend und logisch aufgebaut, die Charaktere sind sympathisch, auch wenn man für Thiebeck sicher etwas länger braucht, um ihn zu mögen. Die Idee des Schachspiels als Mordplan fand ich sehr gelungen und es erhöht die Spannung ungemein, weil man nicht weiß, welche Schachfigur welcher Person in Thiebecks Leben entspricht. Ein super Krimi, auch wenn einem die (ungeschriebene) Vorgeschichte etwas fehlt. 

Donnerstag, 11. Februar 2016

Daniel Galera "Flut"


Die Hauptfigur Leopoldo begibt sich in diesem Roman auf die Suche nach seiner Identität und seiner Familiengeschichte. Nachdem sein Vater sich das Leben genommen hat, nimmt er dessen Hündin Beta bei sich auf und zieht in einen kleinen Ort direkt ans Meer. Dort soll sein Großvater vor Jahren ermordet worden sein, doch niemals wurde seine Leiche gefunden. Nachdem seine Frau Leopoldo verlassen hatte um mit seinem Bruder zusammenzuleben und sein Vater tot ist, scheint er kaum noch einen Plan für sein Leben zu haben und konzentriert sich jetzt auf die Idee, die Familiengeschichte aufzudecken.
Flut„Flut“ ist ein sehr intensiver Roman, der im heutigen Brasilien spielt. Die Hauptfigur wirkt lange nur wie ein Schatten, der eine Basis fehlt und ein Sinn im Leben. Durch eine Erkrankung kann er sich keine Gesichter merken und gerät immer wieder in seltsame Situationen, weil er nicht einmal seine Freundin oder gute Freunde wieder erkennen kann. Das passt aber sehr gut zu seinem Leben, es verstärkt den Eindruck seiner Einsamkeit und seiner Unsicherheit, die Krankheit ist wie ein Sinnbild seines Daseins. Er ist Schwimmer und trainiert in einem Fitnessstudio verschiedene Schüler, oft wirkte er auf mich jedoch eher wie ein einem Strudel im Meer gefangen, er kämpft und schwimmt in seinem Leben, ohne voran zu kommen.
Obwohl der Protagonist einem gar nicht unbedingt sympathisch ist, schafft der Autor Daniel Galera es, dass er einem ans Herz wächst. Er sucht mit seinem Großvater auch ein wenig seine Identität, was sehr deutlich daran wird, dass wir erst ganz zum Schluss seinen Namen erfahren. Bis dahin ist es immer nur „er“, ein namenloser ohne besondere Bedeutung. Die Geschichte und der Stil des Autors nehmen einen schnell gefangen und ziehen einen in eine fast düstere Welt mit viel Schatten, aber wenig Licht. Das Buch beeindruckt und lässt einen nicht los. Die Suche nach der Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen, ist kein neues Motiv, wird von Daniel Galera aber auf wunderbare Weise umgesetzt.

„Flut“ von Daniel Galera ist kein Buch, das man nebenbei liest, man muss sich darauf einlassen, aber dann wird es einen nicht mehr loslassen und mitreißen. Ein großartiges Stück Literatur. 

Hier geht es zur Leseprobe.

Dienstag, 9. Februar 2016

Christoph Scheuring "Zeichen der Zeit"

Jakob, Adam und Ferdinand sind drei Jungen, die in Sachsen im 19. Jahrhundert leben und alle eine besondere Begabung haben. Mit dieser Begabung versuchen die Jungen sich durchzuschlagen, Bildung zu erhalten und ihre Träume zu verwirklichen. All dies beschreibt der Autor Christoph Scheuring vor dem Hintergrund des historischen Dresdens mit seinen politischen Unruhen, Hungersnöten und dem Beginn einer neuen pädagogischen Idee.
Sprachlich ist das Buch sehr gelungen, es lässt sich flüssig lesen und verbindet historische Wörter mit einer gut verständlichen Gegenwartssprache. Sehr schön beschrieben sind das historische Dresden, die Straßen und das Leben, das darin herrscht. Auch der Unterschied der verschiedenen Klassen wird anhand der Charaktere sehr deutlich und welche Rolle die Herkunft für das Recht auf Bildung spielte. Leider empfand ich die Handlung als etwas faserig und nicht schlüssig, als würden einige Ideen einfach ins Leere laufen. An manchen Stellen blieb für mich das Gefühl, dass ein klarer Plot fehlte, der die Handlung vorantreibt. Auch die Motivation der Protagonisten für ihre Handlungen wurde oft nicht deutlich, so dass man als Leser etwas hilflos zurückbleibt mit der Frage, worum es in diesem Roman eigentlich gehen sollte. Alle Jungen haben eine ganz besondere Gabe und treffen zufällig aufeinander, aber warum und was genau ihr Bezug zueinander ist, wird im Verlauf des Romans nicht klar genug. Auch bleibt das Gefühl, dass sie sich eigentlich kaum kennen und kaum Wert auf die gegenseitige Bekanntschaft legen, was die Frage vertieft, worauf der Autor mit der Personenkonstellation eigentlich hinauswollte.

Leider konnte mich die Geschichte von "Zeichen der Zeit" einfach nicht überzeugen, auch wenn ich den Stil des Autors sehr schön finde und man merkt, dass viel Recherche für den Roman betrieben wurde. Ein klarer Plot und strukturierte Handlung fehlten aber.

Isabelle Bogdan "Der Pfau"

Lord und Lady McIntosh haben sich in ihrem Leben auf dem Land in Schottland eingerichtet. Sie vermieten Cottages an Touristen, Lord McIntosh lehrt an der nahen Universität, Lady McIntosh ist Bauingenieurin und eher praktisch veranlagt. Vervollständig wird ihr Leben von Albert, dem Hund, ein paar Pfauen und einer alten Gans, die mit ihnen auf dem Hof leben. Doch als einer der Pfauen verrückt wird und alles angreift, was blau ist und zeitgleich das Team einer wichtigen Bank zum Teambuildingwochenende anreist (die überreizte Chefin auch noch in einem blauen Auto), erhält ihr Leben mehr Aufregung, als sie je erwartet hätten. 
Isabel Bogdan arbeitet als Übersetzerin unter anderem für die Romane von Nick Hornby, und diesen britischen Humor erkennt im besten Sinne jetzt auch in ihrem Debütroman. Durch eine scheinbar simple Ausgangssituation schafft sie schnell ein komplexes Konstrukt an Geschichten, in dem sich alle anwesenden Charaktere verfangen und mit einer trockenen und sachlichen Sprache berichtet sie lediglich von den Ereignissen, was den komischen Effekt nur noch verstärkt. Die verschiedenen Sichtweisen auf die Ausgangssituation treiben die Geschichte regelrecht ins Absurde und je näher sich eine Figur der Wahrheit um den Pfau nähert, desto weiter treibt sie schnell wieder weg. Jeder zieht immer wieder die zwar nahe liegenden, aber völlig falschen Schlüsse, so dass man sich als Leser, der natürlich als einziger die gesamte Wahrheit kennt, immer wieder ins Fäustchen lacht, wenn wieder einer der Teilnehmer völlig überzeugt seine Sichtweise, was es mit dem Pfau auf sich haben müsste, zum Besten gibt. Dass die Version des Hundes der überreizten Chefin der Wahrheit noch am nächsten kommt (ohne es natürlich den dummen Menschen mitteilen zu können), ist eine der vielen kleinen bissigen Pointen, die Isabel Bogdan in die Geschichte um den verrückten Pfau einstreut. 
Dass das Teambuilding dann doch eine recht erfolgreiche Sache ist, die Chefin gar nicht so furchtbar wie sie am Anfang schien und die Köchin doch nicht so rücksichtslos, wie gegen Ende kurz vermutet, sind nebenbei positive Erkenntnisse. Dabei macht die Autorin alles richtig, wenn sie die Gruppendynamik zwischen den unterschiedlichen Charakteren die Regie übernehmen lässt, um ständig neue Finten und Verwirrungen zu stiften. Ein einfach großartiges, witziges und ein wenig abgründiges Buch über Menschen, Tiere und ihr Verhältnis. Unbedingt lesen!

Mittwoch, 3. Februar 2016

Gertraud Klemm "Muttergehäuse"


Muttergehäuse


Gertraud Klemms Roman „Muttergehäuse“ zeigt auf eindrucksvolle Weise, was es in einer Frau auslösen kann, wenn sie keine eigenen Kinder bekommen kann und wie ihr die Gesellschaft dabei begegnet. Mit einer kraftvollen und bildhaften Sprache beschreibt die Autorin die Gefühlslage ihrer Protagonistin, die zunächst von Freunde und Glück über die Entscheidung, mit ihrem Mann ein eigenes Kind zu wollen geprägt ist, dann aber schnell umschlägt in Frustration, Wut und Verzweiflung. Sie müssen lernen, dass nicht jeder einfach ein Kind bekommt, sondern es für sie ein harter Weg wird, von Arzt zu Arzt, von Beratung zu Beratung. „Die Kinderwunschindustrie eröffnet sich einem erst, wenn Defizite im Raum stehen. Sie ist allerdings eine verschwiegene, heimlich Industrie, nicht so eine hoffnungsvolle, sich überall anbietende und aufdrängende wie die Gebär- und Babyindustrie.“
Dabei beginnt ihr Verhältnis einen Sprung zu bekommen, Schuldzuweisungen stehen im Raum, die Wut gegen sich selbst richtet die Protagonistin gegen ihren Partner. Diese Situationen sind sehr bewegend beschrieben, danach folgt der Weg über die Adoption zu einem Kind, doch die Probleme werden scheinbar nicht weniger, nur anders.
Beeindruckend ist vor allem die Bildhaftigkeit der Sprache, dies beginnt schon mit dem Titel. „Muttergehäuse“ hatte mich zunächst an etwas technisches denken lassen, ist in der Gesamtheit mit dem Cover aber auch ein Schneckenhaus, eine fragile Hülle, die gefüllt werden soll, wie die Protagonistin ihren Körper mit einem Baby zu füllen wünscht. Die „Akten wachsen wie ein Tumor“, der „Embryo wird in Papier gepackt“ durch die ganzen Dokumente der Adoption, dies sind nur zwei Beispiele für die wunderbare und aufrüttelnde Sprache von Gertraud Klemm.
Eingeschoben sind immer wieder Traumsequenzen, in denen die Protagonistin mit ihren Ängsten konfrontiert wird, die Angst nicht schwanger zu werden, das ungeborene Baby zu verlieren, nicht gut genug aufzupassen, das Kind bei einem Unfall zu verlieren. Mit all diesen Dingen konfrontiert sie sich tags wie nachts und hat so kaum noch eine Möglichkeit, dem Thema auszuweichen. Zur eigenen Angst kommt die ständige Bewertung durch das eigene Umfeld und die Gesellschaft hinzu, die ihr das Leben nicht erleichtert.
„Muttergehäuse“ ist ein sehr bewegendes Buch, wahrscheinlich ein Frauenbuch, das auch ein Mann einmal lesen sollte. Es zeigt viel über die Emotionen und die Psyche während des ganzen Prozesses, ohne Klischees zu verwenden und einen Schutzwall zum Leser zu ziehen. Gertraud Klemm ist ein bedrückendes und bewegendes Buch gelungen, das einfach nur außergewöhnlich ist in seiner Art.

Die wunderschön gemachte Ausgabe ist erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau

Milena Busquets "Auch das wird vergehen"

Auch das wird vergehen
Der Tod ihrer Mutter trifft Blanca mehr, als sie gedacht hatte. Sie ist wütend, traurig und versteht sich selbst nicht mehr richtig. Gemeinsam mit ihren zwei Ex-Ehemännern, den beiden Söhnen und zwei Freundinnen zieht sie sich in das Ferienhaus in Cadaqués zurück, um über den Tod ihrer Mutter hinwegzukommen oder ihn zumindest zeitweise zu vergessen. Doch in jedem Möbelstück, in jeder Straße erkennt sie ihre Mutter wieder und kann sich nicht lösen.
Milena Busquets erzählt eine Geschichte über die Beziehung von Mutter und Tochter, die nie einfach ist. Blanca fühlte sich von ihrer Mutter oft ungerecht behandelt und falsch verstanden, dennoch fehlt ihr ihre Mutter jetzt so sehr, dass es wie ein Loch in ihrem Leben scheint. Die bildhafte und poetische Sprache der Autorin ist dabei beeindruckend, man fühlt beim Lesen die Sonne auf der Haut und ist mit Blanca in Cadaqués. Sie nimmt die Leser mit in ihre unkonventionelle Welt, in der sie mit Wein und Sex versucht, das Geschehene zu vergessen und sich gleichzeitig jeden Tag vornimmt, das erste mal das Grab ihrer Mutter auf dem Friedhof zu besuchen. „Das Gegenteil von Tod ist nicht Leben, sondern Sex.“, sagt Blanca, um ihr Verhalten zu erklären. Sie will sich lebendig fühlen angesichts des Todes und versucht dies durch Extreme zu schaffen. Nur um immer wieder erschüttert festzustellen, dass ihr dies nicht weiterhilft. 
Dabei geht Milena Busquets mit ihrer Protagonistin nicht bösartig ins Gericht, im Gegenteil, sie sorgt für Verständnis und Zuneigung und ein bisschen will man sich auch selbst in Blanca erkennen. „Ich bin ein Erwachsenen-Fake, alle meine Bemühungen den Pausenhof zu verlassen, sind krachend gescheitert, ich empfinde genau das, was ich mit sechs Jahren empfunden habe“. Wer möchte nicht zurück in die unbedarfte Kinderzeit, gerade angesichts von Problemen, die sich manchmal zu Bergen auftürmen können. 
Dieses Buch ist faszinierend und bewegend und mit einer unglaublichen sprachlichen Virtuosität geschrieben, da wird die Liebe zum „Strudel, der aus Sterblichen unbesiegbare Götter macht“ und der emotionale Abstand von zwei Menschen von festem Honig in der Hitze der Sommersonne zu flüssigem, goldenen, eine wunderbare Annäherung. 
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an die Vielfältigkeit der Sprache, die Möglichkeiten, Emotionen zu versprachlichen, was Milena Busquets zu absoluter Perfektion führt. Ein starker, poetischer Roman voller Herzenswärme. 

Dienstag, 2. Februar 2016

Hans-Henner Hess "Das Schlossgespinst"

Fickel arbeitet im beschaulichen Meiningen in Südwestthüringen als sogenannte „Terminhure“, er lungert also im Hochsommer am Gericht rum, und springt ein, wenn ein Anwalt gebraucht wird. So landet er auch bei der „Roten Elfriede“, Meiningens ehemaliger Bürgermeisterin und überzeugter Kommunistin. Er soll ihr vor Gericht eine Brahmspartitur zurück erstreiten, die der Vorsitzende des Meininger Heimatvereins nicht wieder rausgeben soll. Doch schon kurz nach dem gewonnenen Gerichtsstreit ist Elfriede Langguth tot – kann das wirklich Zufall sein?
Fickels beschauliches Leben gerät durch den Tod von Elfriede ganz schön aus den Fugen, dass er dabei noch mit seiner resoluten Exfrau, der Oberstaatsanwältin Gundelwein, konfrontiert wird, kann ihm auch nicht gefallen. Was die zwei einmal zusammenbrachte, bleibt beim Lesen ein absolutes Rätsel, die auf Karriere bedachte Oberstaatsanwältin könnte kein größerer Gegensatz zum völlig karriere- und ambitionslosen Fickel sein.
Die Geschichte ist außerordentlich unterhaltsam und witzig geschrieben, was größtenteils auf die kuriosen – menschlichen wie tierischen- Charaktere zurückzuführen ist. Dass diese sich, wie in der Figur des maulwurfsartigen Archivars des Schlosses dann auch manchmal noch vermischen, macht es umso witziger. Beim Lesen erwischt man sich immer wieder beim Kichern und Schmunzeln, so dass es der Geschichte kaum einen Abbruch tut, wenn der Plot manchmal etwas künstlich und die Auflösung etwas sehr gewollt erscheint. Es ist in erster Linie ein unterhaltsames, witziges Buch und kein Krimi mit Hochspannung, wo man nur wissen will, wer nun der Mörder ist. Die Krimihandlung scheint eher ein Nebenprodukt der Vorführung skurriler Meininger Charaktere.

„Das Schlossgespinst“ ist der bereits Fickels dritter Fall, doch auch ohne Vorkenntnis lässt sich das Buch problemlos lesen. Wer mehr ein lustiges Buch sucht als einen spannenden Krimi, ist hier auf jeden Fall richtig. An die perfekte Verbindung von Humor und Kriminalhandlung wie bei Wolf Haas reicht es leider nicht heran.