Samstag, 30. November 2013

Jo Nesbø "Die Larve"


Nach seinem letzten Fall hatte Harry Hole sich nach Bangkok abgesetzt, er wollte nicht mehr zurück nach Oslo, nachdem er seine große Liebe Rakel verloren hatte und sein Job als Polizist ihn immer tiefer in die Welt von Kriminalität und Alkohol gezogen hatte. Was könnte ihn also dazu bringen, doch zurückzukommen? Nur Rakel und ihr Sohn Oleg natürlich. Als Oleg wegen Mordes an einem Junkie verhaftet wird, fliegt Harry zurück nach Oslo und versucht den Fall zu lösen. Dass sein ehemaliger Ziehsohn ein Mörder sein soll, kann er einfach nicht akzeptieren. Doch damit bringt er auch sich selbst in Gefahr, denn einige mächtige Kriminelle in Oslo wollen Harry tot sehen. Schnell rutscht er wieder in die düstere Welt ab, aus der er damals fliehen wollte.
Jo Nesbøs Krimis um den Kommissar Harry Hole sind an Spannung kaum zu überbieten. Auch in diesem Band sind die wieder so viele Menschen in die Taten verstrickt, dass man als Leser bis kurz vor Schluss im Unklaren ist, wer der eigentlich Mörder ist. Zu viele Personen des kriminellen Milieus zeigen sich auf der Bühne und hätten ein Motiv, die Gelegenheit und die kriminelle Energie, einen Mord zu begehen. Gleichzeitig rückt mit Rakel auch Harrys Privatleben wieder in den Vordergrund, was den Fall um so spannender Macht. Denn Harry würde alles tun, um Rakel den Schmerz ersparen, dass ihr Sohn einen Menschen umgebracht hat. Man kann gar nicht aufhören und muss immer weiterlesen, um endlich zu wissen, ob der ruhige und intelligente Oleg aus den früheren Harry Hole Krimis wirklich dieser kaputte und drogensüchtige junge Mann geworden ist. Dass sich auch noch die Drogenmafia Oslos in die Geschichte einschaltet, macht es umso spannender und auch bei der Polizei ist einem kaum noch klar, wer auf Seiten der Gerechtigkeit steht und wer alles geschmiert ist. 
„Die Larve“ ist ein hervorragender Krimi, spannend und mit detailliert gezeichneten Charakteren, die einen in die Geschichte reinziehen und einen nicht mehr loslassen. Absolut empfehlenswert!

Alex Capus "Léon und Louise"


Als Léon und Louise sich das erste mal begegnen, steht das Ende des ersten Weltkriegs kurz bevor. Beide sind in einem kleinen französischen Ort gelandet, um das Land in Kriegszeiten zu unterstützen. Während Louise im Bürgermeisterbüro arbeitet, ist Léon als Morseassistent bei der Bahn angestellt. Die beiden verlieben sich, doch bei einem Ausflug werden sie durch Granatenbeschuss verletzt und verlieren sich aus den Augen. Erst zehn Jahre später erfahren sie, dass der jeweils andere überlebt hat. Doch Léon ist bereits verheiratet und seine Frau erwartet ein Kind. So muss ihre Liebe in aller Stille leben, möglichst ohne die Menschen zu verletzen, die sie lieben. 
Doch auch der zweite Weltkrieg lässt sie einander wieder aus den Augen verlieren. Die Geschichte von Léon und Louise ist eine besondere Liebesgeschichte, da sie den größten Teil ihres Lebens nur in den Köpfen der Protagonisten stattfindet. Obwohl sie sich nicht sehen, lieben sie sich und wissen, dass der andere irgendwo in der Welt draußen ist und auch an den anderen denkt. Die Leidtragende dabei ist zumeist Léons Frau Yvonne, der von Anfang an klar ist, dass sie keine Chance gegen die fremde Frau, die Jugendliebe ihres Mannes hat. Und so schlüpft sie im Laufe ihres Lebens in alle möglichen Rollen, um ihn zu halten und dazu zu bringen auch sie auch zu lieben. Auf eine gewisse Weise tut er das auch, doch an die Liebe zu Louise reicht die Liebe nie heran. Louise fragt ihn an einer Stelle des Buches, ob es wohl funktioniert hätte, wenn sie damals mit 18 Jahren nicht getrennt worden wären, ob sie ein glückliches gemeinsames Leben geführt hätte. Und sie gibt ihm die Antwort gleich mit: Der Kopf sagt nein, aber das Herz sagt ja. Ich denke ihr Kopf hätte Recht behalten, ihre Liebe hat nur funktioniert, eben weil sie so wenig Zeit zusammen verbracht haben, ihnen der Kampf im Alltag erspart blieb und die Langeweile, die das Leben mit sich bringen kann. Insofern ist es Yvonne um so höher anzurechnen, dass sie ihren Mann bei sich hielt und mit ihm den Alltag bekämpfte, während Louise für ihn immer mehr ein Kopfabenteuer war als die Realität. 
Diese wunderbare Geschichte schreibt der Autor Alex Capus so sensibel und leise, dass man mit allen Figuren mitfühlt und leidet und seine Sympathien von einer Person zur anderen mitnimmt, ohne in dieser Geschichte Position beziehen zu müssen. Sie haben alle ihre Sichtweise und alle haben ein wenig Recht. Léon und Louise, die ihrer verpassten Liebe eine neue Chance geben wollen und auch Yvonne, die das dritte Rad an diesem Wagen ist und dennoch ihre Rolle fleißig weiter spielt. 
Mit „Léon und Louise“ ist Alex Capus eine faszinierende Liebesgeschichte gelungen, die völlig ohne Kitsch und übertriebene Romantik auskommt und nur vom Wesen ihrer Figuren zu leben scheint. 

Montag, 25. November 2013

Lauren Weisberger "Die Rache trägt Prada"


Andrea Sachs ist zurück. Sie hat sich von der Arbeit bei "Runway" Chefin Miranda Priestly erholt und sich inzwischen mit ihrer ehemaligen Konkurrentin Emily selbstständig gemacht. Die beiden geben ein Hochglanzmagazin heraus, dass sich mit Hochzeiten und allem was dazu gehört beschäftigt und sind damit höchst erfolgreich. Doch dann tritt Elias-Clark, der Verlag dem Miranda Priestly als Chefin vorsteht, an sie heran und will ihr Magazin „The Plunge“ kaufen. Während Emily begeistert von der Idee ist, graust es Andrea vor dem Gedanken, wieder für Miranda arbeiten zu müssen. Auch einige private Veränderungen in ihrem Leben führen dazu, dass sie eigentlich nur ihren Frieden haben will. Doch dass man Miranda nicht unterschätzen darf, hat Andrea bereits im ersten Teil gelernt.
 Endlich ist der Nachfolger von „Der Teufel trägt Prada“ da und ist überraschend gelungen. Dieser Roman ist kein billiger Abklatsch des ersten Bandes, sondern genauso spannend und witzig. Miranda scheint tatsächlich eine Veränderung durchgemacht zu haben und Andreas Privatleben rückt in den Vordergrund. Mit „The Plunge“ bringt zudem endlich ein Produkt heraus, hinter dem sie Qualitativ und inhaltlich selber steht. Die Charaktere haben sich entwickelt und verändert, wenn auch nicht so sehr, wie ich es mir erhofft hatte. Gerade zum Ende hin fand ich die Entwicklung etwas vorhersehbar und enttäuschend. Mit Andys Mann tritt ein völlig neuer Charakter auf die Bildfläche, der ihr Verhalten mit beeinflussen will, weil er gleichzeitig ein wichtiger Investor der Zeitung ist. Die Verbindung von Geschäft und Privatleben erschwert Andrea eine unabhängige Entscheidung und lässt sie teilweise sehr passiv und schwach wirken.
 Das ändert aber nichts daran, dass auch „Die Rache trägt Prada“ ein sehr gut lesbarer und unterhaltsamer Roman ist, auf dessen Verfilmung man hoffen darf. Welcher Fan des ersten Teils würde nicht Meryl Streep gerne noch einmal als Miranda Priestly über die Kinoleinwand wüten sehen?

Marita A. Panzer "Englands Königinnen. Von den Tudors zu den Windsors"


In ihrem Werk „Englands Königinnen“ beschreibt Marita A. Panzer das Leben der englischen Königinnen beginnend mit Elisabeth von Yorck, die 1486 zur Königin gekrönt wurde und mit ihrem Mann Edward VII. nicht nur die Blutlinie der Tudors begründete, sondern auch Mutter des berühmten Königs Heinrich VIII. war. Nach dem Tod seines älteren Bruders Arthur wurde er König und nahm dessen Frau Katharina von Aragon zur Ehefrau. Sie war damit die erste von sechs Königinnen während der Regentschaft Heinrich VIII. Nach diesen Königinnen kamen deren Kinder an die Macht, unter anderem die bekannte Elisabeth I., die Zeit ihres Lebens nicht heiratete, um die Macht nicht teilen zu müssen, wie man vermutet.
Bis hin zur heutigen Queen Elisabeth II. beschreibt die Autorin die Eigenarten der Königinnen, ihre Zeit und die Herrschaftsverhältnisse. Obwohl es sich bei diesem Werk um ein reines Sachbuch handelt, ist es keineswegs langweilig oder trocken. Die Beschreibungen sind detailliert und spannend erzählt, was aber auch daran liegt, dass keine der Königinnen ein „normales“ Leben führte. Oft kannten sie ihren Ehemann nicht, bis sie nach England kamen, um dort verheiratet zu werden oder lebten unglücklich, weil der erwünschte Erbe ausblieb, der König sich anderweitig mit Frauen vergnügte oder die politischen Herrschaftsverhältnisse zwangen sie ins Exil. All dies hatten sie mit Würde zu ertragen und sich weiter freundlich dem Volk zu präsentieren. Ihre Aufgaben und Herausforderungen beschreibt Marita A. Panzer sehr anschaulich und menschlich, so dass man ein wenig das Gefühl bekommt, den Charakteren näher zu kommen und sie kennen zu lernen.
 „Englands Königinnen“ ist ein detailliert recherchiertes und lebendig geschriebenes Sachbuch, das einen fesseln kann und auf eine Reise durch die Zeit mitnimmt - von 1486 bis ins heutige Jahrtausend. 

Freitag, 8. November 2013

Sam Savage "Firmin - Ein Rattenleben"


Firmin kommt in Boston in einem Buchladen zur Welt - sein Schicksal ist damit eigentlich schon besiegelt. Die kleine Ratte Firmin ist das schwächste von 13 Kindern der dicken, saufenden Ratte Flo und wird von seinen Geschwistern weggejagt, wenn es Essen gibt. Um nicht zu hungern, fängt er an Bücher zu essen. Er futtert sich durch die Bücher wie ein Bücherwurm. Doch irgendwann beginnt er zu lesen, hier einen Absatz dort eine Seite, dann ganze Bücher. Die Bücher werden alles, was ihm etwas bedeutet und so kämpft er sich durch seine kleine, aber anstrengende Welt- alles aus der Rattenperspektive. Er muss lernen, dass die Menschen es nicht immer gut meinen mit ihm, dass aber nicht alle Menschen schlecht sind. Am Ende findet er sogar einen Freund, der ihn aufnimmt und ihn ein Stück durch sein Leben begleitet.
„Firmin“ wirkt auf den ersten Blick wie ein fröhlicher, witziger Tierroman, ist aber eigentlich eine traurige Geschichte über Einsamkeit, den Wunsch geliebt zu werden und die Suche nach einer Heimat. Firmin fühlt sich immer allein, als kämpfe er gegen die ganze Welt und kleine Hoffnungsschimmer werden meist schnell wieder vernichtet. Weil sein Leben ihm so düster und traurig erscheint, beginnt er, sich ein anderes Leben zu träumen, es immer wieder umzudichten, zu erweitern und zu verschönern. Daher weiß man als Leser auch gar nicht, welche Fassung dieser Dichtung man gerade liest. Ist es das Original, das wirkliche Leben von Firmin? Oder ist es schon erfunden? Welche Personen gab es wirklich in seinem Leben, welche hat er dazu gesponnen, um die düsteren Seite der Geschichte abzumildern? Der Roman ist sehr nachdenklich, doch stellenweise auch witzig, wenn zum Beispiel die Ratte uns Leser direkt anspricht, uns vorwirft, ihm nicht zu glauben, ihn auszulachen, Vorurteile zu haben. Wir sollen ihn so nehmen wie er ist und seine Geschichte so, wie er sie uns erzählt- ob wahr oder nicht, ist egal. Es ist sein Leben wie Firmin es haben will, und damit ist es für ihn so wichtig als wäre es die Wahrheit. 
Sam Savages Debütroman „Firmin“ kann man jedem empfehlen, der ein besonderes Buch sucht, etwas, das in Erinnerung bleibt und einen länger begleitet, weil es immer wieder gelesen wird. Vielleicht findet man zwischen den Zeilen dann irgendwann doch noch Firmins wahre Geschichte. 

Dienstag, 5. November 2013

Hilary Mantel "Falken"


Thomas Cromwell ist zurück und mit ihm auch Henry VIII. und Anne Boleyn. Mit „Falken“ veröffentlicht Hilary Mantel den zweiten Band über das Leben des ausschweifenden englischen Königs und seinen Vertrauten Cromwell, der dem ersten in nichts nachsteht. Anne konnte dem König immer noch keinen Sohn schenken und sinkt in seinem Ansehen immer weiter, Intrigen werden gegen sie gesponnen und sie wird immer verzweifelter. Gleichzeitig taucht scheinbar ihr komplettes Gegenstück in Henrys Leben auf. Jane Semyour ist zurückhaltend, schüchtern und keusch, sie scheint ein Engel zu sein, auf den sich die volle Aufmerksamkeit des Königs richtet. Cromwell bekommt die Aufgabe, einen Weg aus für Henry aus der Ehe mit Anne Boleyn zu finden, um erneut heiraten zu können und endlich einen Sohn zu bekommen. 
„Falken“ ist ebenso großartig recherchiert und brillant geschrieben wie der Vorgänger „Wölfe“. Hilary Mantel steckt viel Zeit in die Entwicklung der Charaktere, ihre Eigenheiten, Verbindungen bei Hofe, Wünsche und Ziele, die sie in ihrem Handeln antreiben  und motivieren. Die Veränderung von Anne macht dies besonders deutlich. Sie wird immer ruhiger und verunsicherter, je mehr sich der König von ihr abwendet. War sie am Anfang noch die laut auftretende, selbstbewusste Königin, scheint sie am Ende nur ein Schatten zu sein, der sich an eine sinnlose Hoffnung auf Gnade klammert. Cromwells Charakter wird in diesem Band ebenfalls von einer anderen Seite gezeigt. Seine Rolle ist es nicht mehr nur, den König zu unterstützen. Seine eigenen Interessen und Ziele rücken in den Vordergrund. Mehr als einmal wird klar, dass er auch Unschuldige verurteilen lässt, wenn dies zu seinem Vorteil oder zum Vorteil des Königs ist. Er scheint keine Skrupel mehr zu kennen und tut alles, um in der Gesellschaft voranzukommen und seine politischen Ziele zu verwirklichen. Die Momente, in denen er zur Ruhe kommt und um seine Familie trauert, sind selten geworden, er scheint ganz und gar der politische Cromwell zu sein. 
Wer einen historischen Roman sucht, der völlig ohne oberflächliche Klischeecharaktere auskommt und vielmehr die wahren Menschen zu zeigen scheint, der sollte unbedingt zu den Werken von Hilary Mantel greifen. Sie sind an Präzision, Spannung und Ehrlichkeit kaum zu überbieten.