Donnerstag, 24. November 2011

Inka Parei "Die Kältezentrale"


„Wie soll man die Zeit, in der man noch sehr jung war, begreifen, wenn die Bedingungen, unter denen man einmal gelebt hat, nur noch in der eigenen Erinnerung existieren? Wie entkommt man unter solchen Umständen, dem Gefühl, dass es nicht um das frühere Leben handelt, sondern um ein ganz anderes? Und wer ist man mit einem auf diese Art fragmentierten Leben?“ (S. 157) 
Diesen Fragen geht der Protagonist in Inka Pareis neustem Roman „Die Kältezentrale“ nach. Ein Anruf aus der Vergangenheit scheint es zu sein, als seine frühere Frau ihn kontaktiert und ihn bittet, zurück nach Berlin zu kommen, das er 1987 verlassen hat. Sie ist schwer krank und drängt ihn herauszufinden, ob der LKW in dem sie sich vor Jahren für ein paar Stunden versteckt hat und der aus der Ukraine kram, verstrahlt gewesen ist. Nur so könne sie richtig behandelt und viellicht noch gerettet werden. Die Reise nach Berlin zwingt die Figur, sich mit seiner eigenen Vergangenheit  auseinandersetzen, er beginnt Menschen von früher aufzusuchen und erinnert sich an seine Arbeit in der Kältezentrale des „Neuen Deutschland“.
„Ich schämte mich dafür, hier gearbeitet zu haben. Dass ich nur Handwerker gewesen war, nicht verantwortlich für Inhalte, spielte in diesen Zusammenhang keine Rolle. Der Grund für mein Gefühl war nicht der Umstand, dass ich einem politischen System, das heute weitgehend abgelehnt wird, so nahe war. Sondern dass ich diese Tatsache damals nicht begriffen hatte. Ich war Teil von etwas gewesen, ohne zu verstehen, was es war, und ohne den geringsten Anlass zu sehen, darüber nachzudenken; so wie Kinder mit der Umgebung , in der sie aufwachsen, eins sind, sie für das Normale halten.“ (S. 44) 
Die Geschichte des Protagonisten spielt auf unterschiedlichen Zeitebenen und springt scheinbar wahllos hin und her zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Man muss als Leser aufmerksam bleiben und ist manchmal zu Beginn eines Absatzes etwas irritiert, weil nicht gleich klar ist, wo man sich mit dem Charakter befindet. Doch gleichzeitig ist diese Irritation sinnbildlich für die ganze Geschichte, denn genauso unsicher steht auch die Hauptfigur von Inka Parei vor ihrer Vergangenheit, die sich einer Einordnung so völlig entzieht. Sichere Erinnerung und das Glauben, etwas sei passiert, verschwimmen und geben der Figur das Gefühl, ein Doppelgänger habe damals gelebt, ein anderer Mensch und vielleicht doch ein bisschen er selbst. Diese Zerrissenheit transportiert Inka Parei sowohl in der Sprache als auch der gesamten Konstruktion des Romans auf eine ganz besondere Art und Weise. 
Ein großartiger Roman über die Auseinandersetzung mit eigenen Vergangenheit und die Angst vor dem, was man dabei entdecken kann. 

Sonntag, 20. November 2011

Anne Laureen "Sonne über Wahi-Koura"


Als Helena de Villiers ihren Mann bei einem Flugzeugabsturz verliert und ihr Weingut durch einen Reblausbefall ruiniert ist, beschließt sie zur ihrer Schwiegermutter nach Neuseeland zu ziehen. Doch als sie dort nach der langen Schiffsreise ankommt, muss sie feststellen, dass sie alles andere als freudig erwartet wird und ihre strenge Schwiegermutter Louise sie ausschließlich duldet, weil sie schwanger ist. Nur schwer können diese beiden eigenwilligen Frauen sich aneinander gewöhnen, während sie gemeinsam gegen die Feinde des Weinguts der de Villiers kämpfen: Ein hinterhältiger Banker aus Napier versucht mit allen Mitteln, ihnen ihr Land wegzunehmen. 
Die Geschichte aus „Sonne über Wahi-Koura“ erinnert ein wenig an den erste Roman von Anne Laureen, eine junge Frau verlässt Deutschland um in Neuseeland einen Neuanfang zu starten. Doch genau wie mit „Sterne über Tauranga“ ist ihr auch dieses Mal ein sehr schöner historischer Roman über starke Frauen in einer eigentlich noch von Männern dominierten Welt gelungen. Die Figuren sind gut gezeichnet, haben starke Charakterzüge und bleiben nicht bei oberflächlichen Klischees stehen. Der Stil ist sehr flüssig und die Sprache bilderreich, so das man als Leser schnell in die Welt der Hauptfiguren gezogen wird und ihrem Leben folgt. Dabei bleibt aus, was mir oft bei sehr langen historischen Romanen mit seitenweise Landschaftsschilderung passiert: Ich bin nicht versucht, schnell zwei Seiten zu überblättern, weil ich das Gefühl habe, dass dort sowieso nichts passiert. Die Geschichte ist so kompakt geschrieben, dass keine unnötigen Längen entstehen. 
Ein sehr gutes Buch für kalte lange Winterabende bei einer Kanne Tee, wer auf eine anspruchsvolle und unerwartete Story hofft, wird jedoch enttäuscht sein.

Josh Bazell "Einmal durch die Hölle und zurück"


Pietro Brwna, ein ehemaliger Mafiakiller, arbeitet und einem Decknamen als Arzt an Bord eines Kreuzfahrtschiffs- so gut es eben geht mit einem sehr fragwürdigen Universitätsabschluss und einer Weiterbildung in Zahnheilkunde per Youtoube-Videos. Doch mit diesen halbwegs entspannten Leben ist es vorbei, als er für einen amerikanischen Milliardär gemeinsam mit der Paläontologin Violet Hurst auf die Jagd nach einem Seeungeheuer geschickt wird. Als sie herausfinden, dass dort in letzter Zeit bereits vier Menschen zu Tode gekommen sind, machen sie sich auf die Suche nach den vermeintlichen Mördern- denn an ein Seeungeheuer glauben sie beide nicht.
„Einmal durch die Hölle und zurück“ ist zweite Roman von Josh Bazell, sein Debüt „Schneller als der Tod“ stand lange auf den Bestsellerlisten und ist der inhaltliche Vorläufer zu diesem Krimi. Doch auch ohne Kenntnis des ersten Romans kann man der Handlung problemlos folgen. Der Stil des Autors ist äußerst unterhaltsam und hebt sich positiv von den meisten bekannten Krimiautoren ab, er ist sehr direkt, teilweise fast brutal und gleichzeitig unterlegt mit einer Menge bitterbösem schwarzem Humor. So wird die anfänglich etwas alberne Jagd nach einem Seeungeheuer gemäß Nessie in Schottland schnell zu einem spannenden Krimi mit höchst eigenartigen Charakteren, wie beispielsweise den Organisator dieser Abenteuertour Reggie Trager, dessen Motive ziemlich fragwürdig scheinen. Pure wissenschaftliche Neugier scheint es nicht zu sein, die ihn zu dieser Reise an den See treibt. Und auch der ein oder andere Prominente begibt sich mit auf die Suche nach dem Urzeitmonster, was beim Leser für einige Lacher sorgen dürfte.
„Einmal durch die Hölle und zurück“ ist ein gutes Buch für jeden, der keinen klassischen Krimi mit klarer Rollenverteilung sucht, sondern der von einem Buch neben Spannung auch Witz und eine gewisse Einzigartigkeit erwartet. Das ist Josh Bazell definitiv gelungen. 

Samstag, 19. November 2011

Mängelexemplare

Ich habe mal wieder einen neuen Buch-Kauf-Rekord aufgestellt: Zehn Minuten Zeit zum Umsteigen an einem Bahnhof reichen völlig aus, um noch einmal schnell einen Blick in Buch- und Zeitschriftenladen zu werfen und sich auf den Tisch mit Mängelexemplaren zu stürzen. Diese Tische sind wirklich immer eine Katastrophe, meistens schon komplett durchgewühlt oder von den Mitarbeitern mit viel Liebe so sortiert, dass die Buchrücken garantiert NICHT einfach lesbar sind. So habe ich mich also in der kurzen Zeit nur durch die erste Reihe Bücher arbeiten können, aber es hat gereicht um mein Bücherregal ein klein wenig weiter zu füllen:  

Simon Beckett "Leichenblässe"

Dr. Hunter ist zurück. Bei seinem letzten Einsatz ist David Hunter nur knapp dem Tode entronnen. Nicht vollständig genesen, quält ihn die Frage, ob er seinem Beruf noch gewachsen ist. Bis ein alter Freund den Forensiker um Hilfe bittet: In einer Jagdhütte in den Smoky Mountains wurde ein Toter gefunden. Die Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit zersetzt. Die Spuren sind widersprüchlich. Und David Hunter ist im Begriff, einen folgenschweren Fehler zu begehen.

Mittwoch, 16. November 2011

Neu auf dem Bücherstapel

Heute hat es ein neues Buch in mein Regal geschafft- besser neben mein Regal, denn in das Regal passt momentan nichts!

Anne Enright "Anatomie einer Affäre"


Ein kurzer Moment, ein Blickwechsel auf einer Gartenparty- und schon ist der Grundstein gelegt zu einer aufregenden Affäre voller Leidenschaft und Glück. Doch was passiert, wenn aus der heimlichen Liebe Alltag wird?

Dienstag, 15. November 2011

Stefan Schwarz "Hüftkreisen mit Nancy"


Max ist Anfang vierzig und steckt in einer Krise. In seinem Job wird er beurlaubt, weil er angeblich zu viele Witze mit sexuellen Anspielungen seiner Kollegin gegenüber macht und seine Frau findet ihn längst nicht mehr so toll wie früher. Eigentlich leben die beiden nur noch nebeneinander her. Max steckt voll in einer Midlife Crisis und meldet sich in einem Fitnessstudio an, stemmt Gewichte und beobachtet die hübsche Frau am Empfang, die er zu gerne einmal tanzen sehen würde. 
Ich hatte viel Gutes von dem Buch gehört, es sei witzig, intelligent, sehr unterhaltsam. Leider kann ich dem aus meiner Sicht nicht zustimmen, ich habe mich bei der Lektüre schlicht und einfach gelangweilt und mich am Ende geärgert, die Zeit mit dem Lesen dieses Buches verschwendet zu haben. Die Geschichte hat sich für mich überhaupt nicht entwickelt, hatte keinen Schwung und plätscherte ohne jegliche Dynamik dahin. An vielen Stellen hab ich mich über die zahlreichen Klischees geärgert, die von dem Autor verbraten werden, was dazu führte, dass der Protagonist eher nervt als unterhaltsam wirkt.
Ich war wirklich enttäuscht von dem Buch und hatte mehr erwartet. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kolumnen des Autors sehr unterhaltsam sind, aber ausgebreitet auf 250 Seiten war es einfach anstrengend. 

Horst Eckert "Schwarzer Schwan"


Die Bankerin Hanna Kaul ist kurz davor, einen Milliardendeal unter Dach und Fach zu bringen, als dieser plötzlich vom Vorstand der Bank abgesagt wird. Sie beginnt zu recherchieren und kommt hinter die fragwürdigen Machenschaften ihres Chefs. Gleichzeitig verschwindet ihre Nichte Leonie und eine Finanzlobbyistin aus Berlin wird während eines Besuchs in Düsseldorf ermordet. Was haben all diese Dinge miteinander zu tun? Der Polizist Dominik Roth glaubt nicht an einen einen Zufall und macht sich daran, den Zusammenhang zwischen als diesen Fällen herzustellen. Durch sein unkonventionelles Vorgehen, steht er jedoch schnell selbst unter Verdacht, etwas mit den Verbrechen zu tun zu haben.
„Schwarzer Schwan“ ist ein spannender Thriller, der hochaktuelle Bezüge zur Finanzkrise und zum Unglück von Fukushima aufgreift. Horst Eckert beschreibt das Postengeschacher und Kaufen von Stimmen auf höchster politischer Ebene, ein Hin- und Hergeschiebe von Positionen und Posten für Geld und Macht. Der Plot wird dabei in verschiedene Erzählstränge aus unterschiedlichen Perspektiven aufgeteilt, der Leser erhält Informationen über den Bundestagsabgeordneten Mierscheid, den Polizisten Dominik Roth und die Bankerin Hanna Kaul. In kurzen Absätzen wird die Geschichte von Leonie eingeschoben. Sie ist die einzige, die als Ich-Erzähler auftritt und den Leser so ganz nah mitnimmt in ihr dunkles Kellerloch, in dem sie gefangen gehalten wird. Gerade diese Abschnitte lassen es einem manchmal kalt den Rücken runterlaufen, so sehr hofft man mit Leonie auf eine baldige Freilassung. 
Auch ohne die Aktualität dieses Romans wäre Horst Eckert ein spannender Thriller gelungen, doch durch die Verbindungen zur Atom- und Finanzlobby wird es ein großartiges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man einmal angefangen hat. 

Montag, 14. November 2011

Lesung im Café Ambiente

Gestern fand im Bremer Café Ambiente die Lesung von Inka Parei (Die Kältezentrale) im Rahmen der LiteraTour Nord statt. Die Autorin las ausgewählte Stellen aus ihrem Buch und stellte sich anschließend den Fragen des Publikums. Mir hat die Lesung sehr gut gefallen, die Autorin war äußerst sympathisch und hat zudem eine angenehme Lesestimme, was man nicht von allen Literaturschaffenden behaupten kann. 
Enttäuschend war hingegen das Publikum: Keiner hatte das Buch gelesen oder sich wirklich damit beschäftigt. Eine Frau sagte gleich zu Anfang, so ein Buch hätte "ein Wessie" ganz sicher nicht schreiben können, woraufhin Frau Parei sie aufklären musste, dass sie die ersten 20 Jahre in Frankfurt/Main verbracht habe. Viel Kritik wurde geäußert, die Geschichte wäre kühl und ohne emotionale Beteiligung der Autorin- immer mit dem Zusatz "ohne das Buch gelesen zu haben". Schade, dass die Autorin sich solche Kommentare anhören musste, denn wer sich die Mühe gemacht hat, das ganze Buch zu lesen, wusste, dass die Geschichte keineswegs kühl und distanziert ist, sondern an vielen Stellen sehr nahe geht und den Leser an der Suche des Protagonisten nach sich selbst teilhaben lässt. Bleibt zu hoffen, dass das Buch sich doch noch in das ein oder andere Bücherregal der Zuschauer verirrt, und sie von seinen Qualitäten überzeugen kann!

Sonntag, 13. November 2011

Lesung von Inka Parei "Die Kältezentrale"

Heute Abend liest Inka Parei in Bremen im Café Ambiente aus ihrem Buch "Die Kältezentrale". Die Lesung findet im Rahmen der LiteraTour Nord statt und ist der Auftakt der diesjährigen Lesereihe, an der unter anderem auch Jan Böttcher ("Das Lied vom Tun und Lassen") teilnimmt, dessen Buch ich hier schon rezensiert habe. Morgen gibt es dann natürlich einen Bericht zur Lesung heute Abend, das Buch habe ich erst halb gelesen, aber ich bin noch fleißig dabei. Für alle Interessierten liest Inka Parei in den nächsten Tagen auch noch in Rostock, Lüneburg und Hannover. Details gibt es auf der Homepage der LiteraTour Nord. 

Samstag, 12. November 2011

Frédéric Lenormand "Die venezianische Agentin"


Venedig im 18. Jahrhundert: Ein verarmter Adliger wird während einer Sitzung des Rates von Venedig ermordet, das Motiv ist unklar. Hatte er Spielschulden? Einen heimlichen Sohn? Oder hatte er sich in Geschäfte verwickeln lassen, denen er nicht gewachsen war? Für die Suche nach dem Mörder engagiert der Rat die junge Leonora Pucci, eine Klosterschülerin, die Venedig bereits einmal in einem Kriminalfall helfen konnte. Unerschrocken macht sie sich an die Ermittlungen und findet schnell eine seltsam anmutende Spur - überall tauchen plötzlich Gedichte des verstorbenen Dogen Grimani auf und weisen Leonora, auch die Frascadina genannt, den Weg zum Mörder des Adligen. 
„Die venezianische Agentin“ ist bereits der zweite Roman von Frédéric Lenormand mit dieser Hauptfigur, doch auch ohne den ersten gelesen zu haben, kann man der Handlung problemlos folgen. Die Geschichte wirkt am Anfang etwas einfach gestrickt, nimmt aber schnell Fahrt auf und ist sehr unterhaltsam zu lesen. Besonders die teils eigenwilligen Charaktere machen die besondere Atmosphäre des Buches aus. Schon die Idee, eine junge Klosterschülerin ermitteln zu lassen, ist in der gewählten Zeit sicher sehr ungewöhnlich, dennoch bleibt die Geschichte durch viele Erklärungen zu ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft des damaligen Venedigs sehr glaubhaft und nachvollziehbar. 


Ein gelungener historischer Krimi aus ungewohnt weiblicher Perspektive- auf jeden Fall empfehlenswert!  

Donnerstag, 10. November 2011

Regal ungelesener Bücher

Ich habe in inzwischen das Gefühl, dass man nicht mehr von einem "Stapel ungelesener Bücher" sprechen kann, neu in meinem "Regal ungelesener Bücher" sind diese Woche:

Camilla Macpherson  "Am Tag und in der Nacht"



London in den vierziger Jahren: Jeden Monat geht Daisy in die Londoner Nationalgalerie, um das einzige dort ausgestellte Meisterwerk zu sehen. Diese Momente sind für sie besonders wertvoll, sie geben ihr Kraft in den kriegszerissenen Zeiten. Jahre später entdeckt die junge Claire die Briefe, die Daisy damals schrieb. Darin lernt sie eine Frau kennen, die allen Konventionen zum Trotz ihren Weg ging. Nach einem schrecklichen Schicksalsschlag findet jetzt auch Claire den Mut, Schritt für Schritt ein neues Leben zu beginnen.

Anne Laureen "Sonne über Wahi-Koura"
Schwere Schicksalsschläge zwingen Helena de Villiers, ihr Weingut im Rheingau zu verkaufen und nach Neuseeland auszuwandern. Dort, auf dem Weingut ihrer Schwiegermutter Louise, will die junge Frau den Neuanfang wagen. Aber auch Louises Besitz ist bedroht: Ihr größter Widersacher Manson will ihr Land an sich reißen und schreckt selbst vor Mord nicht zurück. Bis Helena sich am anderen Ende der Welt zu Hause fühlt, muss sie so manches Abenteuer überstehen und sich mutig zur Liebe bekennen ...


Sonntag, 6. November 2011

Jan Böttcher "Das Lied vom Tun und Lassen"


Mit dem Selbstmord von Meret Kugler, die vom Schuldach springt, um ihrem Leben ein Ende zu setzen, wird die Geschichte in Jan Böttchers Roman in Gang gesetzt. Drei Menschen beschreiben in seinem Buch, wie die Situation sie und die Menschen um sie herum verändert hat. Musiklehrer Immanuel Mauss versucht alles, um seinen Schülern zu helfen, sie treffen sich in seinem Haus und trauern, reden, hören Musik. Er schafft ihnen einen Zufluchtsort, als sie diesen am nötigsten brauchen. Bis auf Clarissa scheint er auch allen damit helfen zu können, sie finden ins Leben zurück und konzentrieren sich auf das, was gerade wichtig scheint: ihr Abitur. Johannes Engler kommt als Gutachter an die Schule, beobachtet den Unterricht von Mauss und lernt die verzweifelt in ihrer Trauer blockierte Clarissa kennen und beginnt mit ihr eine Beziehung, die schnell zum Scheitern verurteilt scheint. Clarissa selbst lässt den Leser in Blogeinträgen teilhaben an ihren Erlebnissen mit Freunden auf einer Reise durch Frankreich, ihre Rückkehr und was sie dabei bewegt. Immer bei ihr ist M., eine Freundin, die abgehauen ist, Sinnbild für die aus ihrem Leben verschwundene Meret, die sie hilflos und voller Fragen zurückließ. 
„Das Lied vom Tun und Lassen“ ist kein Roman der durch spannende Handlung oder viele Effekte besticht, sondern durch die Emotionalität der Sprache und die leisen Zwischentöne. In allen Geschichten schwingt viel Hilflosigkeit und Verzweiflung mit, obwohl alle Protagonisten immerzu von andern Menschen umgeben sind, zeichnet sie eine tiefe Einsamkeit aus, aus der sie nicht herausfinden können. Mauss muss erkennen, dass er den Schülern nicht so helfen kann, wie er möchte. Engler hat zwar einen Sohn, den verschweigt er aber und fühlt sich in der Beziehung zu der jungen Clarissa schnell hintergangen. Und Clarissa fühlt sich von ihren Freunden verraten, die ihr viel zu schnell ins Leben zurückfinden und nicht mehr um Meret trauern, die sie selbst noch in jedem Moment begleitet. Hilflos stehen sie sich alle gegenüber und wissen nicht, wie und wo sie Halt finden sollen, in der für sie so zerfallenen Welt.  Die Frage nach dem Ich und dem Wir, mit dem sich ein Buch beschäftigt, das sowohl Clarissa als auch der Musiklehrer gelesen haben, schwebt als Thema über dem gesamten Roman, was passiert wenn meine individuellen Gefühle von der Gruppe nicht verstanden werden, was ist, wenn mein Ich dem Wir plötzlich im Weg steht? 

Jan Böttcher fasst ihre Sprachlosigkeit in Worte und schafft eine Atmosphäre von Trauer, Angst, Verzweiflung, aber immer auch ein bisschen Hoffnung, dass die Situation nicht endgültig ist, sondern ein Prozess, dessen Ende nicht feststeht. 

Samstag, 5. November 2011

Der Bücherstapel wächst und wächst...

Ein Buch im Buchladen gekauft, zwei heute in der Post und eine Büchersendung, die ich noch in der Postfiliale abholen muss... Die Sucht wird immer schlimmer! Trotzdem freue ich mich über meine neuen Bücher:

Horst Eckert "Schwarzer Schwan"


Investmentbankerin Hanna Kaul sieht sich am Ziel ihrer Träume: Zum ersten Mal steuert sie den Übernahmepoker eines börsennotierten Unternehmens, ein Erfolg bedeutet den erhofften Karrieresprung. Dann aber sagt der RheinBank-Vorstand den Milliardendeal überraschend ab. Damit nicht genug: Hanna erfährt, dass sie ausspioniert wird. Was geht da vor? Dominik Roth ist für Betrugssachen zuständig und unzufrieden. Als eine Lobbyistin der Deutschen Börse auf offener Straße erschossen wird, darf er endlich bei den Mordermittlern aushelfen. Denn es gibt einen weiteren Fall: In einem ausgebrannten Polo wurde eine Leiche entdeckt. Prompt steckt Dominik in einem Dilemma. In der Wohnung des Toten findet die Polizei Papiere, die Hannah Kauls Observation dokumentieren. Dominik kennt das Material nur zu gut er selbst hat an der Beschattung der Bankerin mitgewirkt. Weil das eine nicht genehmigte Nebentätigkeit für die Firma eines Freundes war, verschweigt Dominik, was er weiß. Als Hannas Nichte Leonie spurlos verschwindet, spitzt sich die Situation zu- ist sie das Opfer einer Entführung geworden?

Josh Bazell "Einmal durch die Hölle und zurück"


Nachdem ihm die Flucht vor den Mobstern auch Manhattan gelang, arbeitet Ex- Auftragskiller Pietro unter einem Decknamen als Schiffsarzt auf einem Luxus- Kreuzfahrer. Doch dann erhält er ein verlockendes Angebot: Für einen mysteriösen Milliardär soll er herausfinden, ob dieser einem Schwindel aufgesessen ist. Zusammen mit Paläontologin Violet begibt sich Pietro auf eine äußerst seltsame Expedition.




Inka Parei "Die Kältezentrale"


Berlin im Jahr 2006: Ein Mann hat in den achtziger Jahren im Gebäude des Neuen Deutschland als Handwerker gearbeitet und später die DDR verlassen. Eines Tages bekommt er einen Anruf von seiner früheren Frau. Sie wartet in einem Krankenhaus auf die exakte Diagnose ihrer Krebskrankheit. Um ihr zu helfen, reist er zurück in die Stadt und versucht, die Ereignisse einiger Tage Anfang Mai 1986 zu rekonstruieren. War ein aus der Ukraine kommender Lastwagen, mit dem sie in Berührung kam, verstrahlt? Und warum erscheint der Tod eines Kollegen, an dem er sich die Schuld gab, zweifelhafter denn je? Sind die Geschehnisse von damals der Grund dafür, dass er in dem Leben, das er bis vor Kurzem geführt hat, nie wirklich Fuß fassen konnte? Schnell beginnen die Tage in Berlin ihm zu entgleiten, werden zu einer verzweifelten Suche nach Orientierung angesichts eines nie verkrafteten Bruchs in seinem Leben.


Freitag, 4. November 2011

Katharina Münk "Die Eisläuferin"


Eine Regierungschefin wird im Urlaub von einem herunterfallenden Bahnhofsschild getroffen und kann sich an die letzten 20 Jahre ihres Lebens nicht mehr erinnern. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, vergiss sie über Nacht alles, was sie tagsüber gelernt und erfahren hat. Jeden Morgen muss ihr Mann ihr wieder beibringen, dass sie keineswegs in ihren Wahlkreis muss, weil sie nämlich längst Regierungschefin ist. Diese Ausgangssituation führt zu zahlreichen amüsanten Erlebnissen der Politikerin mit ihren Mitarbeitern, die langsam beginnen, an ihrem Stuhl zu sägen. 

Dass mit der „Regierungschefin einer westlichen Industrienation“ durchaus Angela Merkel gemeint sein könnte, wird an einigen Episoden schnell deutlich, stört beim Lesen jedoch nicht. Die Autorin zeichnet ein herrlich überspitztes Bild des Politikbetriebs und zeigt, dass Umfragewerte offensichtlich nicht von politischen Entscheidungen abhängen. Je unkonventioneller sich die Protagonistin in der Öffentlichkeit bewegt, desto beliebter wird sie beim Volk und desto suspekter wird sie ihrem Mitarbeiterstab, da sie sich nicht an die intern offensichtlich bestehenden Regeln hält. 
Das Buch ist gute Unterhaltungsliteratur, plätschert jedoch manchmal etwas langatmig dahin. Ich hätte mir für die Geschichte stellenweise allerdings eine extremere Entwicklung gewünscht, um wirklich herausragend zu sein.