Sonntag, 28. Februar 2021

Christine Drews "Freiflug"

 

Rita Maiburg möchte als Pilotin bei der Lufthansa arbeiten, doch es sind die 70er Jahre und so erscheint es ganz selbstverständlich, als die Lufthansa sie mit der Begründung ablehnt, man würde für den Job keine Frauen einstellen. Doch Rita will kämpfen und mit Katharina Berner, eine Juristin, die sich schon ihr ganzes berufliches Leben gegen männlichen Klüngel und Vorurteile durchsetzen muss, hat sie die perfekte Partnerin an ihrer Seite. Gemeinsam verklagen sie die Lufthansa und damit auch ihre Anteilseignerin, die Bundesrepublik Deutschland. 

 Aus heutiger Sicht ist es verstörend, welche Steine den beiden Frauen in den Weg gelegt werden und welche Erfahrungen sie auf ihrem Weg zu ihrem Traumberuf machen. Immer schwebt über allem der Vorwurf, einem Mann den Platz wegzunehmen, während man selbst ja eh bald heiraten und dann als Hausfrau leben würde. Die Vorstellung, dass eine Frau selbstbestimmt leben und ihr eigenes Geld verdienen möchte, scheint für die meisten Menschen in den 70er Jahren mehr als irritierend gewesen zu sein. Durch die von Katharina Berner bearbeiteten Rechtsfälle kann die Autorin Christine Drews zudem noch viele andere Beispiele zur Diskriminierung von Frauen einbauen, sei es, dass Vergewaltigung in der Ehe weder Straftatbestand noch Scheidungsgrund war oder dass Frauen bestimmte Tätigkeiten verwehrt wurden, weil sie angeblich zu emotional und einmal im Monat ja auch hormonell völlig außer Kontrolle wären. Einen kann bei der Lektüre nur die kalte Wut überkommen, wie lange dieses Denken sich tatsächlich gehalten hat und auch wenn schon viel erreicht wurde, zeigt das Beispiel Rita Maiburg, dass mann immer weiterkämpfen muss und sich nie zufrieden geben darf, wenn es im Alltag und im Berufsleben zur Diskriminierungen kommt, nur weil man ein anders Geschlecht hat, als vielleicht der Großteil der tätigen Personen. Zwar war Rita Maiburg die erste Linienflugkapitänin der Welt, doch bis heute sind Pilotinnen noch eine Randerscheinung. Dies zeigt deutlich, dass Rita Maiburgs Kampf noch nicht zu Ende geführt ist. 

 Christine Drews hat mit „Freiflug“ einen spannenden und mitreißenden Roman geschrieben, der sich wunderbar lesen lässt und sicher nicht nur für Leserinnen einen tollen Einblick in den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung bietet. Ein großartiges Buch, das ich nur weiterempfehlen kann.

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Hier geht es zu weiteren Informationen des DuMont Buchverlags. 

Mittwoch, 24. Februar 2021

Benedict Wells "Hard Land"

 

Missouri 1985, Sam ist ein Teenager und will eigentlich nur das Leben genießen und mit Freunden zusammensein. Doch das Leben ist anders, seine Mutter ist todkrank und Freunde hat er auch keine. Ein Ferienjob im Kino soll ihn in dieser Düsterheit Ablenkung schaffen. Dort findet er nicht nur überraschend Freunde, er verliebt sich auch und so wird der Sommer 1985 für ihn ein ganz besonderer Sommer, ein Sommer der Liebe, ein Sommer voller Freude und Freundschaft und der Sommer, in dem er erwachsen werden muss, ob er will oder nicht. 

 „Hard Land“ beschreibt das Leben von Sam auf berührende Weise, schon nach wenigen Seiten ist man vollständig abgetaucht in Sams Welt und wird mitgerissen wie von einem guten Song oder spannenden Film, der einen von der ersten Sekunde an gefangen nimmt. Sam lebt auf einem schmalen Grat aus Freude über das Leben, das er plötzlich hat und die ständige Angst und Sorge um seine Mutter, deren Krankheit zu Hause wie eine düstere Wolke über allem schwebt, ebenso wie die Arbeitslosigkeit seines Vaters. Alles was er unternimmt, wirkt wie ein Flucht vor diesen Sorgen und dabei versteht man ihn einfach so gut und Benedict Wells beschreibt seine Gefühlswelt und Intentionen so nachvollziehbar, das man ihm als Leser oder Leserin einfach nur wünscht, er möge diesen Sommer genießen, möge jede Sekunde auskosten, jeden Sonnenstrahl auf der Nase spüren, der von morgens bis abends vom Himmel fällt. Jede der vier Figuren in der neuen Clique hat ihre Probleme und Eigenarten, doch bei der Lektüre hat Sam für mich alles zusammengehalten, aus seinem Blickwinkel lernen wir alle Figuren kennen, seine Einschätzung führt uns in ihre Welt ein. Selten hat mich eine Hauptfigur so berührt wie Sam, der zerrissen ist zwischen der Angst um seine Mutter und der Lust am Leben und dem der Autor Wells dennoch mit soviel Zuneigung und Verständnis begegnet, dass er einfach beides haben darf, den schlimmsten besten Sommer seines Lebens. 

 Benedict Wells schreibt großartige Geschichten mit sehr viel Gefühl, ohne auch nur an den Rand des Kitsch zu geraten. Die Emotionen sind ehrlich und glaubwürdig und so hat er es wieder einmal geschafft, dass ich ein Buch von ihm zur Seite gelegt habe und erst einmal kein neues beginnen wollte, denn innerlich war ich immer noch bei Sam in Missouri und habe mit ihm und seinen Freunden im Kino einen alten Film geschaut.

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Hier geht es zu weiteren Informationen des Diogenes Verlags. 

Freitag, 19. Februar 2021

Christoph Peters "Dorfroman"

 

Hülkendonck ist ein kleines Dorf am Niederrhein, in dem der Erzähler in den 70er Jahren aufwächst. Als dort ein neuartiges Atomkraftwerk gebaut werden soll, wird der Ort in zwei Teile gespalten und der Protagonist sieht sich erstmals in der Situation, die Meinungen und Entscheidungen seiner Eltern zu hinterfragen. Er lernt mit Juliane eine Gegenaktivistin kennen und verliebt sich in sie. Dreißig Jahre später ist er zurück in seinem Elternhaus und es ist, als wäre die Zeit dort stehengeblieben. 

 In „Dorfroman“ beschreibt Christoph Peters die gesellschaftliche Spaltung der 70er Jahre am Beispiel des kleinen Ortes Hülkendonck, konservative Katholiken treffen auf linke Freigeister, größer konnte der Unterschied kaum sein. Der Erzähler wird erstmals mit „der Welt da draußen“ konfrontiert und beginnt, vieles zu hinterfragen, was er bisher einfach hingenommen hat. Nicht nur die Eltern, auch die Kirche als Institution verliert ihre Vorbildfunktion und so sucht er sich ein neues Umfeld, das er mit Juliane und der Aktivistenszene vor Ort auch findet. Die ganze Entwicklung beschreibt Peters auf sehr ruhige, geradezu beschauliche Art und Weise, wie es zu einem Dorf wie Hülkendonck ursprünglich auch gepasst hatte. Bevor der Reaktor kam und das Dorf wie wild geworden auf einander losging. Es hat etwas gedauert, bis ich mich an das Tempo und die Sprache des Autors gewöhnt hatte, doch dann hat er mich voll und ganz in die Welt hineingezogen, die er in „Dorfroman“ geschaffen hat. Besonders die innere Zerrissenheit des Protagonisten und seine beginnende Abgrenzung von den für ihn bisher als selbstverständlich angenommene Strukturen beschreibt Peters detailliert und nachvollziehbar, die Liebe zu Juliane als erste Liebe ist schwierig und führt ihn dennoch auf einen eigenen Weg, den er so vorher nicht gekannt hat. 

 Mir hat „Dorfroman“ von Christoph Peters sehr gut gefallen, ein Roman mit einer ganz eigenen Sprachmelodie und einem ganz eigenen Tempo. auf das man sich einlassen muss. Doch dann wird man den Streit in Hülkendonck mit Spannung verfolgen können und mit dem Erzähler und seiner jugendlichen Begeisterung mitfiebern.

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Hier geht es zu weiteren Informationen des Luchterhand Literaturverlags. 

Dienstag, 16. Februar 2021

Svea Jensen "Nordwesttod. Ein Fall für die Soko St. Peter-Ording"

 

Der Fall der verschwundenen Nina Brechtmann führt die Ermittlerin Anna Wagner nach St. Peter-Ording. Dort soll sie für das LKA Kiel ermitteln und trifft in auf den neuen Dienststellenleiter Hendrik Norberg, der sich nach dem Tod seiner Frau von der Mordkommission in den beschaulicheren Heimatort versetzen ließ. Doch schnell zeigt sich, dass er auch hier nicht zur Ruhe kommen wird, denn der Vermisstenfall wirft viele Fragen auf und weder Freunde noch Familie von Nina können oder wollen so richtig weiterhelfen. Während die Zeit ihnen davonläuft, setzen die beiden Ermittler alles daran, um Nina Brechtmann zu finden. 

 Ein neues Ermittlerteam, ein interessanter Ort und ein spannender Fall - Svea Jensen hat mit „Nordwesttod“ einen äußerst gelungenen Auftaktroman für ihre Krimireihe „Soko St. Peter-Ording“ geliefert. Anna Wagner ist eigentlich Münchnerin und hat so das ein oder andere Integrationsproblem bei den kühlen Friesen, fügt sich im Großen und Ganzen aber gut in das Team ein. Das gesamte Personal zeigt ein großes Potenzial für die weitere Entwicklung einer ganzen Reihe: der junge, engagierte Polizist Nils Schäffler, der unbeliebte Paulsen, der sich Frauen gegenüber auch gerne mal im Ton vergreift und auch Hendriks Schwiegereltern, die sich aufopferungsvoll um seine Söhne kümmern, nachdem ihre Tochter verstorben ist. All das fügt sich sehr gelungen in den wirklich gut entwickelten und spannenden Kriminalfall ein und schafft ein rundum gelungenes Leseerlebnis. 

 Mir hat Svea Jensens „Nordwesttod“ ausgesprochen gut gefallen, ich hatte viel Freude bei der Lektüre und mochte das Buch am Ende gar nicht mehr aus der Hand legen. Daher gibt es von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

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Hier geht es zu weiteren Informationen des Verlags Harper Collins. 

Montag, 8. Februar 2021

Pierre Martin "Madame le Commissaire und der Tod des Polizeichefs"

 

So langsam ist die Kommissarin Isabelle Bonnet wieder richtig in ihrem Heimatort angekommen. Das Leben in Fragolin mit seiner Langsamkeit gefällt ihr und ihre kleine Sonderkommission mit ihrem Assistenten Appollinaire konnte schon einige Erfolge verbuchen. Doch jetzt halten sie gleich zwei Fälle in Atem, ein alter Juwelendiebstahl und dann soll sie noch den Selbstmord des Polizeichefs aus Toulon untersuchen. Der hat sich angeblich wegen einer Krebserkrankung das Leben genommen, doch schnell kommen Madame le Commissaire Zweifel an dieser Version der Geschichte. Steckt vielleicht etwas viel Größeres hinter dem Tod von Enzo Bastian? 

Ich bin inzwischen ein großer Fan der Reihe um Madame le Commissaire Isabelle Bonnet. Stets schwanken die Geschichten zwischen ruhiger Behaglichkeit und spannendem Krimi, genau wie Isabelles Leben. Sie sucht die Ruhe und Erholung, doch die Arbeit macht ihr immer mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Dass sie Ausflüge zu Zeugenvernehmungen gerne mit einem Besuch am Strand verbindet, ist mir dabei äußerst sympathisch. Die Kriminalfälle, egal ob alt oder neu, sind dabei jedoch immer spannend und sehr subtil konstruiert. Stück für Stück entblättert sich sowohl für das ungewöhnliche Ermittlerduo als auch für die Leserinnen und Leser die oder andere Wendung, die so keiner der Beteiligten erwartet hat. Gleichzeitig lässt sich die ein oder andere Frage dann doch besser mit einem Glas Wein in der Hand auf der Terrasse lösen, als durch wilde Verfolgungsjagden wie in anderen Krimis.

 „Madame le Commissaire und der Tod des Polizeichefs“ von Pierre Martin bedient ganz klassisch das Genre des Regionalkrimis, viel Hintergrund, Land und Leute auch eben nur auch, nicht hauptsächlich, eine Kriminalgeschichte. Das ist jedoch keine Kritik, ganz im Gegenteil. Denn man bekommt immer genau das, was man erwartet und erhofft, wenn man einen Krimi der Reihe in die Hand nimmt und das gefällt mir ausgesprochen gut.

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Hier geht es zu weiteren Informationen des Verlags Droemer Knaur.