Als kleines Kind schubste Matthias seinen Bruder Carsten beim Spielen vom Sofa, der junge bleibt den Rest seines Lebens geistig behindert und lebt in einem Pflegeheim auf Sylt. Mit 14 besucht Matthias ihn dort im Sommer mit seiner Mutter und verliebt sich sofort in die drei Jahre ältere Betreuerin Martha. Doch ihre Wege verlieren sich, die Liebe bleibt unerwidert. Doch als Matthias nach Berlin zu seinem Onkel zieht um zu studieren, kreuzen sich ihre Wege wieder und Martha scheint sogar seine Nähe zu suchen. Sie zieht ihn in eine Welt, die Matthias nicht geheuer ist. Wie Recht er mit seinen Gefühlen haben soll, zeigt sich im weiteren Verlauf des Romans.
„Das Lächeln der Alligatoren“ ist eine virtuose Geschichte von der Liebe und ihren Abgründen, von der Suche nach Vertrauen und Zuneigung und der gleichzeitig vollständigen Zerstörung von Halt und Orientierung. Matthias‘ Liebe zu Martha bringt ihm gleichzeitig Glück und Unglück, sie ist Freundin und Feindin, Gefährtin und Kriegerin zugleich, was es so schwer macht, sie einzuordnen. Die Beziehung der beiden ist für den Leser faszinierend und mit der Zeit lässt die Distanz, die man am Anfang zu den Charakteren empfand, immer mehr nach und wie Matthias Martha in sein Leben lässt, lässt er auch uns als Leser immer mehr an seinen Gefühlen teilhaben. So wächst das Mitgefühl mit ihm im Verlauf der Geschichte immer weiter an, während sich zeitgleich eine subtile Abneigung gegen Martha entwickelt, die man sich gar nicht gleich erklären kann. Es ist wie ein Gefühl, dass sie Matthias nichts Gutes bringen wird. Wie recht man mit der Annahme noch haben wird, zeigt sich auf dramatischere Weise, als man es selber gerne gewollt hätte.
Gleichzeitig ist dieser Roman jedoch auch ein politischer Roman, denn sämtliche Störungen entstehen durch Martha und Martha kann nicht losgelöst von ihrer politischen Situation und ihren Überzeugungen verstanden werden, auch wenn sich dies erst spät erklärt. Die gesamte Geschichte erhält durch die Auflösung der Hintergründe von Martha eine neue Bedeutung und Erklärung, die auch Matthias bisherige Lebensgrundlage zerstört. Mit dem Verlust eines geliebten Menschen geht für ihn auch der Verlust seiner bisherigen Lebensgeschichte, das woran er als er geglaubt und was er für sicher hielt, einher.
Michael Wildenhain hat mit „Das Lächeln der Alligatoren“ einen Roman geschrieben, der sich auf die Suche nach dem Einfluss des Politischen auf die Liebe begibt und der Frage nachforscht, wie nah man einem Menschen kommen kann, wenn man gleichzeitig seine Zerstörung ist. Der Roman hat mich von Anfang bis Ende fasziniert und mit seiner besonderen und teilweise sehr reduzierten Sprache wird die Unsicherheit von Matthias und seine manchmal hilflos wirkende Suche nach Etwas, was er sich selbst kaum erklären kann, noch unterstützt. Hier liest man nicht nur ein Buch, man blickt in eine Welt und ob sie einem nun gefällt oder nicht, man muss sich mit ihr konfrontieren. Einfach beiseite schieben lässt sie sich nicht.
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