Mittwoch, 14. November 2018

Arno Geiger "Unter der Drachenwand"


Es ist 1944 und Deutschland liegt im Chaos. Soldat Veit Kolbe ist verwundet und kommt auf Erholungsurlaub nach Hause, nach Wien. Doch dort hält er es nicht aus, er fährt in das kleine Örtchen Mondsee, wo sein Onkel als Polizist arbeitet. Da Dorf liegt unter der Drachenwand, einem mächtigen Bergmassiv am See. Dort verliebt sich Veit und auch um ihn herum geht das Leben weiter. Doch der Krieg prägt auch weit ab von der Front die Menschen, wie er feststellen muss.
„Unter der Drachenwand“ ist ein sehr bewegendes und aufrüttelndes Buch, denn es zeigt - wenn auch in einer fiktiven Geschichte - wie omnipräsent der Krieg im Leben der Menschen im Jahre 1944 war. Und wie selbstverständlich genau dies auch teilweise schon. Dabei geht es nicht nur um das Leben des Soldaten, sondern auch um das Mädchen Annemarie Schaller. Eigentlich sollte sie vor dem Krieg in Sicherheit gebracht werden mit der Landverschickung aus Wien, doch genau in der angeblichen Idylle wendet sich ihr Schicksal ins Tragische. Die Geschichte wird größtenteils aus der Sicht des Soldaten erzählt, wechselt aber immer wieder die Perspektive durch die Briefe, die die Menschen in Mondsee erreichen und die der Autor Arno Geiger geschickt in die Erzählung einbringt, um das Leben in Mondsee und den Städten wie Darmstadt und Wien gegenüber zu stellen. In Mondsee geht es den Menschen noch recht gut, sie werden nicht ausgebombt, lediglich Überflüge von alliierten Flugzeugen haben sie zu ertragen. Nahrungsmittel sind auf dem Land zumindest eher vorhanden als in der Stadt, dafür kennt jeder jeden und die Kontrollfunktion der Gesellschaft funktioniert ganz wunderbar. Jeder weiß, was sein Nachbar sagt oder denkt und so geht es schnell ins Gefängnis, wenn man Kritik äußert. Diese ganze Situation beschreibt Geiger so gut, dass man beim Lesen das Gefühl bekommt, selbst in dieser Enge zu sitzen. Veit helfen nur Medikamente gegen die Panik, die er aus dem Krieg mitgebracht hat, in den er aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch wieder zurück muss. Als Leserin oder Leser fühlt man unweigerlich mit Veit, wenn er seine Gefühle beschreibt, denn er kommt einem sehr nah, trotz der nüchternen Sprache des Autors. Der Protagonist nimmt die Leser direkt mit in den Krieg mit all seinen Rahmenerscheinungen und das macht das Buch auch so beachtenswert, denn es lässt einen einfach nicht los.
Arno Geiger ist mit „Unter der Drachenwand“ ein bewegender Roman über Alltag und Krieg im Jahre 1944 gelungen, der dennoch eins deutlich macht: Die Protagonisten sind nicht ohne Hoffnung, im Gegenteil, sie glauben fest daran, diese verlorene Zeit endlich überwinden zu können, um erneut leben zu leben. Wie in einer Wartehalle pausiert ihr Leben bis zum Kriegsende. Ein beeindruckendes Buch, das vollkommen zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018 gestanden hat.

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