Montag, 18. April 2016

Juli Zeh "Unterleuten"

Unterleuten ist ein Ort, der seit Jahren nach den gleichen Regeln funktioniert. Es gibt die Zugezogenen, die sich auf dem Land mehr Lebensqualität erhoffen, den Besitzer der „Ökologica“, einem landwirtschaftlichen Betrieb, der als Nachfolger der LPG nahezu einziger Arbeitgeber im Ort ist. Dann die klassischen „Wendeverlierer“, die nicht akzeptieren wollen, dass die Welt sich verändert hat. Dazwischen stehen ihre Familien, Kinder und Bekannte, die alle ihren festen Platz in dem Netz aus Beziehungen haben. Als Unterleuten zum Fördergebiet für erneuerbare Energien werden und zahlreiche Windkrafträder bekommen soll, brechen plötzlich alte Kämpfe wieder auf, Rollen werden neu verteilt und das lange so stabile Beziehungsgeflecht droht zu zerbrechen.
Juli Zeh ist mit „Unterleuten“ das Portrait einer fragilen Gesellschaftsstruktur gelungen, die sich plötzlich in einem Kampf wiederfindet. Systematisch legt sie die Schwachstellen einer Gesellschaft offen, die ohne Außenkontakt völlig in sich selbst verkeilt scheint. Personen, die von außerhalb in den Ort gezogen sind, stehen am Anfang noch distanziert am Rande und glauben, sich in diese Struktur nicht hereinziehen lassen zu wollen, doch unglaublich schnell finden sie sich selbst als Teil dieses Abhängigkeitssystems wieder, das am Ende in einen Kampf auf Leben und Tod endet. Frei nach dem Motto „Was ich nicht bekomme, soll auch keiner anderer haben!“ schraubt sich das Aggressionspotenzial sowohl im Subtilen als auch in offener Gewalt auf einer nach oben scheinbar offenen Skala immer weiter hoch, bis Entscheidungen getroffen werden, die zu Beginn noch keiner für möglich erachtet hätte.
Die Autorin beschreibt beeindruckend kühl und distanziert vom Niedergang der menschlichen Gemeinschaft angesichts der Aussicht auf Geld und Einfluss. Deprimierend einfach zerlegt sie die gesellschaftlichen Strukturen, bis am Ende nur noch Individuen stehen, die hilflos um sich schlagend ihre Position verteidigen. „Unterleuten“ ist ein großer Roman über die großen Probleme der Gesellschaft und in seiner gleichzeitig mitreißenden und spannenden Schreibweise ganz sicher herausragend in der aktuellen Literaturlandschaft.



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