U. ist Anthropologe und arbeitet in der freien Wirtschaft.
Sein Auftrag lautet, den ultimativen großen Bericht zu schreiben. Die Form?
Egal, die findet sich. Vor diesem Auftrag stehend ergeht U. sich für den Leser
in Betrachtungen über die Menschen in der Gegenwart, seiner „Präsensanthropologie“
wie er es nennt. Von Ölkatastrophen über Starbucks zu Fallschirmunfällen und
politischen Protesten fasst er fast formlos und unsortiert die Welt zusammen.
Es ist nicht der große Bericht, den man mit „Satin Island“
liest, es ist ein faszinierendes und anregendes Buch. Tom McCarthy zwingt
regelrecht zum Nachdenken und Weiterdenken. Sicher ist es keine lockerleichte
Unterhaltungsliteratur, aber McCarthy legt den Finger in die Wunden der
Gesellschaft und führt uns unsere eigene Absurdität vor. Er ist ein großartiger
Beobachter von Menschen und Mustern, anders hätte „Satin Island“ wohl nicht zu
dieser Form finden können. Was nach einem Mammutroman von 800 Seiten klingt
fasst er kompakt und doch überzeugend auf 200 Seiten zusammen und lässt uns
Leser am Ende doch allein zurück mit der Frage, was das eigentlich war, was wir
da gerade gelesen haben. Beobachtung? Gesellschafskritik? Oder einfach nur die
Beschreibung des alltäglichen Chaos, dem wir uns alle immer wieder wie U. auch
stellen müssen.
Am Anfang hatte ich Probleme, mich in den Stil von Tom
McCarthy einzufinden und wirklich in „Satin Island“ einzutauchen, doch Seite
für Seite faszinierte es mich immer mehr. McCarthy ist ein spannendes und
außergewöhnliches Stück Literatur gelungen, das meiner Meinung nach vollkommen zu
Recht für den Booker Prize 2015 nominiert war.
Hier geht es zur Leseprobe im DVA Verlag.
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