Ian McEwan
schafft in seinem Roman „Nussschale“ einen ganz besonderen Erzähler. Ein
ungeborenes Baby, zwei Wochen vor dem Geburtstermin, berichtet von seinen
Beobachtungen. Und was es erlebt, ist wahrlich shakespearscher Stoff, seine
Mutter verlässt seinen Vater um mit dessen Bruder zu leben. Ein perfider Mord
wird vom Bruder geplant, um den lästigen Ehemann loszuwerden und ganz wie in „Hamlet“
die Witwe zur Frau zu nehmen. Ob und wie das ungeborene Kind auch die Rache
ausführt, um Mutter und Onkel in den Untergang zu stürzen, sollte jedoch jeder
Leser selbst herausfinden.
Der Autor hat
mit seinem Roman eine außergewöhnliche und wie ich finde ungeheuer spannende
Idee umgesetzt, indem er als Erzähler keinen Außenstehenden oder eine der
handelnden Personen auswählt, sondern das Baby im Bauch seiner Mutter. Es ist
wie ein unsichtbarer Beobachter und dennoch Beteiligter, ein Schachzug, der Ian
McEwan großartig gelungen ist. Denn Mutter und Onkel nehmen die Schwangerschaft
kaum war, das kommende Kind ist nur ein störender Faktor in ihrer Planung und
soll möglichst schnell weggegeben werden. Der ausgiebige Alkoholkonsum der
Mutter und das Essverhalten wirken, als wollte sie sich schon vor der Geburt an
dem Kind für seine bloße Existenz rächen. Doch das Baby hört alles, versteht
die Gespräche und berichtet dem Leser von allem, was geschieht und geplant
wird. Das ist höchst unterhaltsam, manchmal spannend und witzig zugleich. Trotz
der offensichtlichen Existenz eines umfangreichen Babybauchs ist es, als wäre
er unsichtbar, nicht-existent und vor allem irrelevant für alle weiteren
Entscheidungen.
Mich hat Ian
McEwans Roman „Nussschale“ einfach begeistert, er setzt ein bekanntes Thema so
kreativ und einzigartig um, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen
kann.
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