„Wie soll man die Zeit, in der man noch sehr jung war, begreifen, wenn die Bedingungen, unter denen man einmal gelebt hat, nur noch in der eigenen Erinnerung existieren? Wie entkommt man unter solchen Umständen, dem Gefühl, dass es nicht um das frühere Leben handelt, sondern um ein ganz anderes? Und wer ist man mit einem auf diese Art fragmentierten Leben?“ (S. 157)
Diesen Fragen geht der Protagonist in Inka Pareis neustem Roman „Die Kältezentrale“ nach. Ein Anruf aus der Vergangenheit scheint es zu sein, als seine frühere Frau ihn kontaktiert und ihn bittet, zurück nach Berlin zu kommen, das er 1987 verlassen hat. Sie ist schwer krank und drängt ihn herauszufinden, ob der LKW in dem sie sich vor Jahren für ein paar Stunden versteckt hat und der aus der Ukraine kram, verstrahlt gewesen ist. Nur so könne sie richtig behandelt und viellicht noch gerettet werden. Die Reise nach Berlin zwingt die Figur, sich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, er beginnt Menschen von früher aufzusuchen und erinnert sich an seine Arbeit in der Kältezentrale des „Neuen Deutschland“.
„Ich schämte mich dafür, hier gearbeitet zu haben. Dass ich nur Handwerker gewesen war, nicht verantwortlich für Inhalte, spielte in diesen Zusammenhang keine Rolle. Der Grund für mein Gefühl war nicht der Umstand, dass ich einem politischen System, das heute weitgehend abgelehnt wird, so nahe war. Sondern dass ich diese Tatsache damals nicht begriffen hatte. Ich war Teil von etwas gewesen, ohne zu verstehen, was es war, und ohne den geringsten Anlass zu sehen, darüber nachzudenken; so wie Kinder mit der Umgebung , in der sie aufwachsen, eins sind, sie für das Normale halten.“ (S. 44)
Die Geschichte des Protagonisten spielt auf unterschiedlichen Zeitebenen und springt scheinbar wahllos hin und her zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Man muss als Leser aufmerksam bleiben und ist manchmal zu Beginn eines Absatzes etwas irritiert, weil nicht gleich klar ist, wo man sich mit dem Charakter befindet. Doch gleichzeitig ist diese Irritation sinnbildlich für die ganze Geschichte, denn genauso unsicher steht auch die Hauptfigur von Inka Parei vor ihrer Vergangenheit, die sich einer Einordnung so völlig entzieht. Sichere Erinnerung und das Glauben, etwas sei passiert, verschwimmen und geben der Figur das Gefühl, ein Doppelgänger habe damals gelebt, ein anderer Mensch und vielleicht doch ein bisschen er selbst. Diese Zerrissenheit transportiert Inka Parei sowohl in der Sprache als auch der gesamten Konstruktion des Romans auf eine ganz besondere Art und Weise.
Ein großartiger Roman über die Auseinandersetzung mit eigenen Vergangenheit und die Angst vor dem, was man dabei entdecken kann.